Handwerksnovelle 2004, Gesetzgebungsverfahren Handwerksnovelle 2004, Argumente gegen Meisterzwang, Probleme mit Behörden?
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Die Rechtsanwältin Hilke Böttcher hat zu der Anhörung folgende Stellungnahme abgegeben:
Ich bedanke mich für die Einladung zur Teilnahme an der oben genannten Anhörung. Leider kann ich aus beruflichen Gründen so kurzfristig persönlich nicht an der Anhörung teilnehmen. Ich möchte mich aber trotzdem zu den Gesetzesänderungen schriftlich äußern. Zunächst möchte ich klarstellen, dass ich seit mehr als 10 Jahren Handwerker vertrete, die sich im Handwerk ohne Meisterbrief selbständig machen wollen oder müssen, weil sie arbeitslos geworden sind und mit ihrer Hände Arbeit ihr Einkommen für sich und ihre Familie verdienen müssen.
Ich habe demzufolge im Bereich des Handwerks verschiedene Mandanten:
Um dies voran zustellen:
Von meinen vielen Mandanten hat noch kein einziger
ein Bußgeld bezahlen müssen!
Dies wird sich auch nach der Gesetzesänderung - wie
auch immer sie ausfallen wird - nicht ändern. Das Abverlangen
des Meisterzwangs als Zugangsvoraussetzung
für die Selbständigkeit bleibt verfassungswidrig, weil zu
unbestimmt.
Auch die "Klarstellung" zu Art. 1 (Änderung des § 1 Abs. 2 HwO), welche bereits in Kraft getreten ist, führt im Ergebnis zu keiner anderen Aussage, da immer noch nicht klargestellt wird, welche Tätigkeiten im Einzelnen dem "Vollhandwerk" (Kernbereich) zugeordnet werden und welche nicht (Minderhandwerk). Dies ist aber nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und mittlerweile auch der Oberlandesgerichte notwendig. Der Bürger muss wissen, was er darf und was nicht - und zwar bevor eine Hausdurchsuchung durchgeführt oder ein Bußgeld erlassen wird. Dies ist und bleibt nicht nachvollziehbar.
Ich habe allein zu der Frage der Zulässigkeit von Hausdurchsuchungen beim Vorwurf der unerlaubten Handwerksausübung - fälschlicherweise auch "Schwarzarbeit" genannt - ca. 12 Verfassungsbeschwerden eingereicht, weil nach meiner Erfahrung die Verhältnismäßigkeit der Mittel nicht gewahrt ist. Es wird nämlich erst durchsucht, um zu prüfen, ob ein Verstoß vorliegt! Dies ist unzulässig. Das BVerfG hat in ständiger Rechtsprechung klargestellt, dass ein konkreter Anscheinsbeweis für die Durchführung einer Durchsuchung notwendig ist. Das heißt, ein Vorwurf, einmalig angeblich unerlaubtes Handwerk ausgeübt zu haben, kann nicht Grundlage einer Hausdurchsuchung sein, da vorher nicht geprüft wird, ob die Tätigkeit nicht dem Minderhandwerk angehört. In jedem Fall kann ein einmaliger Verstoß nie eine Hausdurchsuchung rechtfertigen, weil auch für den Fall, dass überhaupt eine „vollhandwerkliche“ Tätigkeit vorliegt, diese im unerheblichen Nebenbetrieb zulässig ist. Da die Ordnungsbehörden nicht den rechtsstaatlich notwendigen Weg einschlagen und das Gespräch mit dem Betroffenen suchen, sondern gleich das schärfste Mittel wählen, sind die Hausdurchsuchungen nach meiner Ansicht rechtswidrig. Aber auch die Tatsache, dass es immer nur um eine Ordnungswidrigkeit geht und nicht um eine Straftat, macht die Durchführung einer Hausdurchsuchung rechtswidrig.
Auch hier ist durch die geplanten Gesetzesänderung keine Abhilfe für die Handwerker in Sicht.
Das gleiche gilt für die Bußgeldbescheide. Ich habe in meiner gesamten Praxis noch keinen rechtmäßigen Bußgeldbescheid gesehen. Auch dies wird sich in der Zukunft durch die geplanten Änderungen nicht ändern, weil das Gesetz unbestimmt bleibt. Es ändert sich demzufolge auch nichts wesentliches, wenn einzelne Gewerke aus der Anlage A herausgenommen werden.
An dieser Stelle möchte ich an meine jüngste Entscheidung des BVerfG vom 7.04.03 - 1 BvR 2129/02 - GewArch 03, 243, erinnern. Dort ist klar festgestellt worden, dass jeder Handwerker einen Anspruch darauf hat, feststellen zu lassen, welche Tätigkeit er ausüben darf. Diese Tatsache führt dazu, dass ich jedem Handwerker empfehle, vor dem Verwaltungsgericht klären zu lassen, ob die ausgeübten Tätigkeiten dem Meisterzwang unterliegen oder nicht. Nach meiner Erfahrung sind aber auch die Verwaltungsgerichte mit der Klärung dieser Fragen überfordert, weil sie auch nicht wissen können, welche Tätigkeiten ohne Meisterzwang ausgeübt werden dürfen. Sie sind dazu auch nicht berechtigt, weil sie nicht Rechtsfortbildung betreiben dürfen - so das BVerfG in meiner Entscheidung vom 27.09. 2000 - 1 BvR 2176/98 - GewArch 2000, 480. Die Gerichte dürfen nicht die Aufgaben des Gesetzgebers übernehmen (Art. 20 GG). Außerdem führt die Tatsache, dass nunmehr unendlich viele Handwerker vor den Verwaltungsgerichten Klage einreichen werden zur - weiteren - Belastung der Verwaltungsgerichte.
In diesem Zusammenhang möchte ich auch darauf hinweisen, dass ich meinen Mandanten immer rate, sobald die Hausdurchsuchung durch das BVerfG für rechtswidrig erklärt wird und der Bußgeldbescheid damit ebenfalls wegen Rechtswidrigkeit aufgehoben werden muss, Schadenersatz im Wege der Amtshaftung in erheblichen Maße geltend zu machen! Nach meiner Schätzung kommen hier Ansprüche in einem Umfange von Millionen - auf die staatlichen Organe zu.
Auch dies wird sich nach den geplanten Änderungen nicht wesentlich ändern, da die Verfassungswidrigkeit der in Anlage A verbliebenen Gewerke bestehen bleibt.
Ich vertrete auch viele Handwerker, die nach § 17 HwO Auskünfte erteilen sollen und dies nicht wollen, weil sie nicht Mitglied der Kammer sind und auch wegen der durchgeführten Tätigkeiten (Minderhandwerk/unerheblicher Nebenbetrieb) nie Kammermitglied sein werden.
Es ist zunächst zu begrüßen, das ein "Verwertungsverbot" wegen Einsicht in die Geschäftsunterlagen eingeführt werden soll. Nach diesseitiger Auffassung ist dies aber nicht weitreichend genug. Hier wird der Handwerkskammer als einseitige Interessenvertreter der Meisterbetriebe die Aufgabe erteilt, abzugrenzen, welche Tätigkeiten dem "Vollhandwerk" oder dem Minderhandwerk angehören. Dies kann und darf nicht dieser Interessenvertretung überlassen bleiben. Die Klärung der Abgrenzungsfragen stellt eine klassische hoheitliche - und damit staatliche Aufgabe dar! Nach meiner Erfahrung begreifen die Handwerkskammern jede Tätigkeit, die offensichtlich nicht Anlage B - Berufen zugeordnet werden kann, als "Vollhandwerk". Diese einseitige Sichtweise der Handwerkskammern führt dazu, dass meine Mandanten sich gegen die Einsichtnahme in die Unterlagen zur Wehr setzen müssen, da sie nicht davon ausgehen können, objektiv und unvoreingenommen beurteilt zu werden.
Im übrigen haben die Handwerkskammern mehr Befugnisse als die staatlichen Organe wie Polizei! Gegen Maßnahmen der staatlichen Organe können sich die Handwerker wehren und die Einsicht in Unterlagen verweigern, gegen die Einsichtnahme der Handwerkskammern nicht. Dies ist verfassungswidrig und nicht hinnehmbar, auch wenn das "Verwertungsverbot" jetzt mit aufgenommen werden soll.
Nach diesseitiger Auffassung sollte das Betretungsrecht (und der gesamte § 17 HwO) der Handwerkskammern ganz gestrichen werden, denn das Betretungsrecht kommt einer Durchsuchung gleich - nur das man sich hiergegen nicht wehren kann! Insofern ist die jetzige Änderung nicht weitreichend genug.
Ich vertrete viele Handwerker, die eine Spezialtätigkeit durchführen wollen, die weder in Handwerksberufen ausgebildet werden, noch irgendwelchen Gewerken zugeordnet werden können - wie z.B. Lehmofenbau, Blockhausbau etc. Viele neue und moderne Fertigkeiten werden entdeckt und von Handwerkern ausgeübt, aber auch alte Techniken wiederbelebt. Sie werden von den Handwerkskammern pauschal einem oder sogar mehreren Gewerken zugeordnet, obwohl sie in keiner Ausbildung gelehrt und in keinen Berufsbildern o.ä. aufgeführt werden. Diese Handwerker haben ebenfalls große Schwierigkeiten mit den Handwerkskammern und es wird ihnen von Seiten der Ordnungsbehörden "Steine in den Weg gelegt", obwohl offensichtlich kein "Vollhandwerk" vorliegt.
Für viele meiner Mandanten bringt die Ergänzung des § 7b nichts bzw. die Regelung geht nicht weit genug, weil sie entweder sog. Quereinsteiger sind und das Handwerk nicht gelernt haben (Autodidakten) und die in Nr. 2 aufgeführten Zeiten nicht einhalten können. Viele Handwerker können nicht nachweisen, dass sie von den geforderten zehn Jahre Tätigkeit fünf Jahre in herausgehobener, verantwortlicher oder leitender Stellung gearbeitet haben. Zum einen ist es nach meiner Erfahrung im Handwerk nicht üblich, Zeugnisse zu erteilen und wenn, werden diese Qualifikationen in den Zeugnissen nicht aufgeführt. Zum anderen gehen auch Meisterbetriebe in die Insolvenz und der Arbeitgeber ist nicht mehr erreichbar, um die leitende Tätigkeit zu bescheinigen. Dieser Nachweis wird den wenigsten also gelingen.
Diese Regelung wirft wiederum mehr Fragen auf als es Antworten gibt - z.B.
Außerdem stellt diese Regelung für Handwerkerinnen eine Diskriminierung dar. Es ist heute immer noch nicht üblich, Handwerkerinnen in leitenden oder herausgehobener Stellung zu beschäftigen - so sie denn wegen der Erziehungszeiten der Kinder überhaupt 10 Jahre Tätigkeit nachweisen kann.
Im übrigen ist diese Regelung nicht mit den europarechtlichen Vorschriften vereinbar!
Die vorgesehenen Bedingungen enthalten außerdem (weiterhin) eine wesentliche Inländerdiskriminierung. Wer (z.B. nach einer Gesellenausbildung in Deutschland) in einem anderen Mitgliedstaat der EU als Geselle nur drei Jahre (statt der hier vorgesehenen insgesamt zehn Jahre!) in leitender Stellung tätig war, ist aufgrund EG-Recht, § 9 HwO und der EWG/EWR-Handwerks-Verordnung in die Handwerksrolle einzutragen.
Nach dem bereits vorliegenden Entwurf einer weiteren EG-Richtlinie, die voraussichtlich noch in diesem Jahr verabschiedet werden wird, soll künftig sogar eine bloß fünfjährige Zeit der Berufsausübung ausreichen. Da hierauf eine Gesellenausbildung im dualen System anzurechnen wäre heißt dies, dass künftig eine Gesellenausbildung plus zwei Jahre Praxis (ohne leitende Stellung!) ausreichen.
Nach meiner Auffassung sollte hier - um weitere rechtliche Diskussionen und Prozesse zu vermeiden - die jeweils gültigen EG-Vorschriften für die Ausübungsberechtigung erfahrener Gesellen identisch gestaltet werden, damit jede Inländerdiskriminierung endlich aufhört.
Ich vertrete auch viele Handwerker, die eine Ausnahmebewilligung beantragen und sie nicht erhalten, obwohl die Voraussetzungen der sog. "Leipziger Beschlüsse" vorliegen. Es erhalten auch viele aus willkürlichen Gründen die Ausnahmebewilligung nicht. Gerade in Schleswig- Holstein sind die Probleme besonders gravierend, seitdem die Landesregierung die Verantwortung für die Erteilung der Ausnahmebewilligung (rechtswidrigerweise) auf die Handwerkskammern übertragen hat!
Mit Aufhebung des Meisterzwangs insgesamt werden auch diese rechtlichen Auseinandersetzungen aufhören und die Verwaltungen und Gerichte entlastet.
Vgl. Punkt 2. Letzter Teil
Aus meiner Sicht ändert sich für die in Anlage A verbliebenen Gewerke nichts. Es wird weiterhin rechtswidrige Hausdurchsuchungen geben, rechtsfehlerhafte Bußgeldbescheide, weil eine Abgrenzung wegen der Unbestimmtheit der Regelung nicht möglich ist. Der § 1 HwO bleibt also verfassungswidrig. Nach meiner Ansicht muss sich der Gesetzgeber überlegen, ob er lieber selbst den Meisterzwang als Zugangsvoraussetzung für die Selbständigkeit aufhebt oder ob dies das BVerfG in Kürze entsprechend entscheiden sollte.
Die berufliche Einschränkung des Art. 12 GG durch die HwO ist auch nicht mehr zeitgemäß, denn die meisten Handwerker und auch Verbraucher sehen den Sinn nicht mehr ein. Ein Qualitätssiegel scheint dieser auch nicht mehr zu sein, denn viele Bürger entscheiden bei der Beauftragung nicht danach, welcher Handwerker einen Meistertitel hat, sondern wer gute Arbeit leistet. Hier ein häufiges Zitat von Richtern in OWiG-Verfahren: "es ist gerichtsbekannt, dass Meisterbetriebe qualitativ schlechte Arbeit leisten - wenn sie denn überhaupt kommen." Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen.
Politisch gesehen sollten die Einschränkungen der Berufsausübung so gering wie möglich sein, damit Deutschland in Europa eine positive Rolle spielen kann und Diskriminierungsmöglichkeiten oder Benachteiligungen nicht entstehen.
Eine modifizierte Handwerksordnung wird die Zukunft die Kammern besser schützen, als das Festhalten an alten Zöpfen.
Nun noch ein Wort zu dem - letzten verbliebenen - Argument der Handwerksorganisationen: sie würden schließlich die Ausbildung gewährleisten (Vgl. Drucksache 15/1107 und 15/1108). Es mag vielleicht zutreffend sein, dass das Handwerk einen großen Teil der Ausbildung übernommen hat (mir liegen hierzu keine unabhängigen Zahlen vor), aber die ausgebildeten Gesellen werden nicht übernommen. Es wird also für die Arbeitslosigkeit ausgebildet! Dies ist unseriös und schaukelt den jungen Menschen vor, sie würden hinterher auch tatsächlich in ihrem Handwerk arbeiten können! Diese Handwerker landen entweder in der Arbeitslosigkeit und fallen damit dem Staat zur Last oder aber sie machen sich selbständig. Dazu benötigen sie den Meisterbrief und müssen weitere Kosten aufwenden (oder über Ausbildungsförderung der Staat), um ihren Beruf ausüben zu können. Dies führt natürlich zu einer erheblichen Frustration der Jugendlichen.
Mit freundlichen Grüßen
Böttcher/Rechtsanwältin
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