Erst mit der Gründung von Städten und den ersten stehenden Betrieben wurden Reisende Händler und Handwerker einem Generalverdacht ausgesetzt und die lokalprotektonischen Bestrebungen der Zünfte ausgebaut.
Das belegen historische Dokumente, Beschwerden der Innungen und Zünfte, sowie die sich immer wieder überschlagenden neuen Regulierungen und Auflagen fürs Wandergewerbe. Erst mit der Einführung der Gewerbefreiheit, 1810 in Preußen und 1869 im Norddeutschen Bund, sowie mit den späteren Regelungen im § 55 und 56 der GewO konnten Reisende ein wenig aufatmen und ihrem Geschäft mit ein wenig mehr Sicherheit nachgehen.
Doch in den letzten Jahrzehnten setzte sich die Lobby der stehenden Betriebe mehr und mehr durch. Von Ordnungsamt zu Ordnungsamt stoßen wir auf interessante Stilblüten, wie mit dem Reisegewerbe umzugehen sei. Im Folgenden geben wir einen kurzen Überblick über die tollsten Interpretationen:
Das gibt`s doch gar nicht
Noch immer gibt es zum Beispiel Behörden, die Handwerk im Reisegewerbe für praktisch undurchführbar halten. Unter dieser Annahme werden Gewerbeanmeldungen dann von vornherein abgelehnt.
Sofortige Leistungserbringung
Bis 2002 schränkten Behörden, nachdem sie zähneknirschend auch Vollhandwerke in die Karte eintrugen, die Tätigkeit mit der Klausel "mit der Bereitschaft zur sofortigen Leistung" ein und erklärten viele Gewerke im Reisegewerbe für nicht praktikabel. Ein Steinmetz im BUH musste erst über mehrere Jahre einen Prozess vor dem Bundesverfassungsgericht führen, ehe in dieser Frage mehr Klarheit geschaffen wurde. Dabei hätte ein einfacher Blick in die Gewerbeordnung ausgereicht.
Alles, nur kein Vollhandwerk
Gerne wurden auch statt des Vollhandwerks nur "Hilfstätigkeiten" eingetragen oder "nicht meisterliche Tätigkeiten". Gelegentlich besteht man auch darauf, dass alles Werkzeug und Material mitzuführen sei. Eine naive Rechtsvorstellung, die einem Wanderschuhzwang für das Reisegewerbe schon sehr nahe kommt.
Werbungsverbot
Eine weitere Beschränkung, die auferlegt wurde, war das Werbungsverbot im Reisegewerbe. Dazu erklärt man einfach Werbung, ob auf dem Auto oder in der Zeitung, für ein Privileg der stehenden Betriebe. So enthalten viele Karten den schriftlichen Zusatz, dass weder Werbung gemacht noch Zeitungsanzeigen geschaltet oder Visitenkarten verteilt werden dürfen. Darunter fällt ihrer Meinung nach auch die Autowerbung.
Beschränkung auf das Haustürgeschäft
Die meisten Behörden beschränken das Reisegewerbe im Handwerk gerne aufdas Haustürgeschäft, frei nach dem Motto: "Sie wollen uns doch nicht erzählen, dass sie nur von Haus zu Haus gehen?" Die Tätigkeit wird also nicht nur auf das Geschäft von Haus zu Haus beschränkt, sondern komplett in Frage gestellt. Das Reisegewerbe besitzt natürlich viel mehr Facetten und Möglichkeiten: den Besuch von Märkten, Messen und Veranstaltungen, sowie die Öffentlichkeitsarbeit auf der Baustelle, Ankündigungen wo man gerade arbeitet, eben das "Aufsuchen von Bestellungen", so wie es beispielsweise abends in der Kneipe, in der Verwandtschaft, im Freundeskreis oder im Verein möglich ist.
Subunternehmerverbot
Sehr beliebt ist zurzeit ebenfalls das Verbot, "als Subunternehmer zu arbeiten". Auch hierfür existieren in den Karten Zusatzeinträge, die dies untersagen. Ein weiterer Beleg für die virtuose, juristische Interpretationskunst der Lobbyisten. Da die Arbeiten bei anderen Firmen oder Personen im Rahmen ihres Geschäftsbetriebs "reisegewerbekarten frei" sind, also keiner Karte sondern nur einer Gewerbeanzeige bedürfen, wird daraus kurzerhand ein Verbot und damit das Gegenteil konstruiert.
Folgeauftragsverbot
Nach gängiger Meinung der Lobbyisten sind dann auch Folgeaufträge von Kunden, als "stehendes Gewerbe zu deklarieren", weil der Kunde ja auf den Handwerker zugegangen ist. In der Gewerbeordnung gibt es aber keine Regelung, die dies untersagt. Der reisende Handwerker hat natürlich die Möglichkeit, im Anschluss an einen Auftrag gleich nach Folgeaufträgen zu fragen, eben das "Aufsuchen um Bestellungen", wie es vom Gesetz gefordert wird. Überdies lässt sich eine Kontaktaufnahme durch den Kunden nicht automatisch als Bestellung interpretieren. Übliche Praxis ist ein Pflegeauftrag auf Widerruf. Dann sind der Reisende, wie auch der Kunde, im Rahmen des im Reisegewerbe abgeschlossenen Vertrages völlig flexibel.Telefonverbot
Auch hier sind Behörden der Meinung, dass telefonieren nicht dem Reisegewerbe entspricht. Dabei kommt es darauf an, wie ich das Gespräch führe und was ich vereinbare. Auch mit dem Telefon und besonders mit dem Mobiltelefon kann ich jederzeit die Regeln des Reisegewerbes einhalten. Ich arbeite ohne vorhergehende Bestellung, außerhalb der Niederlassung und die Initiative geht vom Gewerbetreibenden aus.
Ausbildungsverbot
Natürlich dürfen wir auch ausbilden, aber man lässt uns nicht. Mein Antrag auf Ausübungsberechtigung liegt zwar noch in der Schublade, aber ich habe die lokale Kreishandwerkerschaft schon um eine Stellungnahme gebeten. Ihre Antwort: "Es ist uns nicht bekannt, dass eine qualifizierte Ausbildung im Reisegewerbe möglich ist." Ab jetzt wissen sie es!
Angestelltenverbot
Viele Reisende sind sich unsicher, ob sie auch Angestellte haben dürfen. Oftmals gehen Behörden davon aus, dass dies nicht möglich ist. Auch hier werden Gesetzespassagen fehlinterpretiert. Natürlich dürfen Reisende einstellen. Es gelten die gleichen Bestimmung und Auflagen wie für den stehenden Betrieb.
Ausschreibungsverbot
Sicherlich geht eine Ausschreibung vom Auftraggeber aus. Geht der Reisende aber vorher zu Behörden oder Architekten, geht die Initiative eindeutig vom Reisenden aus. Deshalb sollten Behördenbesuche im Fahrtenbuch vermerkt werden und die Behörde eine Kopie der Reisegewerbekarte, sowie eine Visitenkarte erhalten. Damit ist im Streitfall der Akt des Vorsprechens auch dokumentiert.
Innungsverbot
Wer Lust hat in die Innung einzutreten, sollte das einfach mal ausprobieren. Ich hielt es vor anderthalb Jahren fachlich für notwendig, weil wir ziemliche Probleme auf dem Reetdach bekamen. Ich wollte die Probleme gemeinsam mit Kollegen lösen und in den Fachgruppen zum neuen Regelwerk des Reetdachdeckens auch meinen Senf dazu geben. Aber denkste! Da kein Eintrag in die Handwerksrolle besteht, lehnte die Innung meine Mitgliedschaft kurzerhand ab. Meine Mitarbeit in den Fachgruppen war damit auch erledigt, denn ohne Mitgliedschaft in der Innung geht dort gar nichts. Der ZDH schloss eine Mitgliedschaft wegen inhaltlicher Differenzen aus. Gemeint waren natürlich meine Aktivitäten für den BUH.
Werkstattverbot
Seit Jahrzehnten wird eine Werkstatt als Widerspruch zum Reisegewerbe gesehen. Manche Karte wurde abgelehnt, weil bestimmte Arbeiten ja nicht ohne Werkstatt möglich seien und eine Werkstatt wiederum sei doch dem stehenden Gewerbe vorbehalten. Dabei heißt es im Gesetz eindeutig "außerhalb der Niederlassung oder ohne eine solche zu haben". Eine Werkstatt ist also selbstverständlich möglich und das Einzige was in der Werkstatt nicht passieren darf, ist dort beim Erstkontakt eine Bestellung entgegen zu nehmen. Macht auch nichts, denn die Welt ist ja groß genug.
Gleichzeitigkeitsverbot
Viele Behörden bezweifeln, dass ein stehendes und ein reisendes Gewerbe gleichzeitig betrieben werden können. Den Einen wird gleich unterstellt den Meisterzwang umgehen zu wollen, den Anderen das reisende Gewerbe nur zum Schein auszuführen. Auf Grundlage dieser Logik kam schon manches Verfahren zustande. Korrekt ist es natürlich, beides anzumelden, damit man auch an jedem Ort der Welt Geschäfte abschließen kann. Übrigens: Dass ein Meisterbetrieb ohne Reisegewerbekarte nicht hausieren darf, wird hier gerne übersehen, denn ein Meister kann ja alles.
Adressensverbot
Viele Behörden glauben, das Adressangaben im Reisegewerbe nicht erlaubt sind. Eine Behörde untersagte einem Reisenden sogar die Adressangabe auf seinen Rechnungen. Das Finanzamt hat sich königlich amüsiert. Für Anstoß sorgen auch Baustellenschilder oder Autowerbung. Immer öfter mahnt die Wettbewerbszentrale anhand der darauf befindlichen Daten ab. Verdienstbeschränken durch Wertgrenze Reisende dürfen übrigens auch nichts verdienen. Herrn U. schrieb man sogar eine Wertgrenze für seine Friseurtätigkeit in die Karte.
Die Kreishandwerkerschaft Oberhavel versuchte auf dem Klagewege einer reisegewerbetreibenden Frisörin das Verteilen von Visitenkarten verbieten zu lassen. Die Interessen der Innung scheiterte mit dem Versuch vor dem Landgericht Neuruppin.
Seit dem Frühjahr gingen mir diese Dinge so auf den Senkel, dass ich einen Entschluss gefasst habe. In meinen Landkreisen, in denen ich arbeite, darf das nicht vorkommen. Deshalb bin ich seit Jahren immer mal wieder auf den Ordnungsämtern und quatsche sie mit meiner Kritik voll. Dann las ich auch noch auf der Homepage des Ordnungsamtes des Landkreises Osterholz, Reisegewerbe sei nur "ohne vorige Auftragsannahme" möglich und als mir zur gleichen Zeit drei Reisegewerbetreibende auf ihrer Baustelle ihre Karten zeigten, musste ich feststellen, dass die Eintragungen überwiegend fehlerhaft oder mit illegalen Zusätzen gespickt waren. Da platzte mir der Kragen und ich habe diese Praxis beim Ordnungsamt reklamiert!
Nach drei Wochen war noch nichts passiert. Erst als ich die Presse informierte und mit einer Unterlassungsklage drohte, bewegte sich etwas. Die Internetpräsenz wurde gelöscht und erneuert. Und ich erhielt die Zusage, dass in die Karten keine illegalen Zusätze mehr eingetragen würden.
Jonas Kuckuk (erschienen im FREIBRIEF, dem Mitgliedermagazin des BUH, 2008)
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