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Handwerksnovelle 2004, Gesetzgebungsverfahren Handwerksnovelle 2004, Argumente gegen Meisterzwang, Probleme mit Behörden?

Bundestagsdebatte zum Meisterzwang vom 27.06.2003

Aus dem Plenarprotokoll 15/54 des Deutschen Bundestags - Stenografischer Bericht - 54. Sitzung - Berlin, Donnerstag, den 27. Juni 2003

Präsident Wolfgang Thierse:
Nun erteile ich das Wort dem Kollegen Christian Lange, SPD-Fraktion.

Christian Lange (Backnang) (SPD):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst einmal sagen, wo wir in den vielen Verhandlungen mit dem deutschen Handwerk Einigkeit erzielt haben, um auch der Legende entgegenzutreten, nach der keine Gespräche mit dem Handwerk geführt worden seien:

(Dirk Niebel [FDP]: Na, das haben wir nicht gesagt!)

Aufhebung des Inhaberprinzips - Einigkeit mit dem deutschen Handwerk; Wegfall der Gesellenjahre für die Zulassung zur Meisterprüfung - Einigkeit mit dem deutschen Handwerk;

(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Und mit der Union! -
Dirk Niebel [FDP]: Und mit der FDP!)

Wegfall von Doppelprüfungen und Erleichterung für Ingenieure und staatlich geprüfte Techniker - Einigkeit mit dem deutschen Handwerk.

(Dirk Niebel [FDP]: Und mit der FDP! -
Werner Wittlich [CDU/CSU]: Erzählen Sie doch nicht so einen Käse!)

Hören Sie endlich mit der Legende auf, wir würden mit dem deutschen Handwerk nicht sprechen. Das Gegenteil ist der Fall.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN -
Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Alles unstreitig! -
Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Was ist denn außer Gesprächen herausgekommen?)

Eine zweite Bemerkung. Ich bin erstaunt darüber, mit welchen verdrehten Rollen wir hier argumentieren. Diejenigen, die sich im Deutschen Bundestag für die Gewerbefreiheit einsetzen, die immerhin im Grundgesetz unserer Bundesrepublik Deutschland steht und die Deutschland stark gemacht hat, müssen sich dafür rechtfertigen, während diejenigen, die an Regulierungen festhalten wollen, glauben, sie könnten das per ordre du mufti hier durchsetzen. So funktionieren das Grundgesetz, die Bundesrepublik Deutschland und die soziale Marktwirtschaft nicht.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN -
Dirk Niebel [FDP]: Das ist ja Demagogie! Du weißt es doch viel besser!)

Die Handwerksordnung ist aus dem Jahre 1953 und sie bedarf der Veränderung, um die Eingriffe in die selbstständige Berufsausübung rechtfertigen zu können.

(Dirk Niebel [FDP]: Unstreitig!)

Lassen Sie mich jetzt einige Beispiele nennen, anhand deren man das beweisen kann. Während im Jahre 1970 noch etwa 632 000 Unternehmer in der Anlage A regis-triert waren, sind es heute trotz der deutschen Einheit nur noch etwa 560 000.

(Dirk Niebel [FDP]: Weil wir 1998 eine Novelle gemacht haben!)

- Moment. - Vergleichen wir das einmal mit der Anlage B. In der Anlage B waren 1970 nur 29 400 Unternehmen registriert. Heute verzeichnet diese Liste 176 270 Unternehmen.

(Dirk Niebel [FDP]: Weil wir 1998 eine Novelle gemacht haben!)

Dies entspricht einem durchschnittlichen Zuwachs von 6 Prozent. Das belegt, dass gerade in den Bereichen eine Dynamik zu verzeichnen ist, in denen es den Meisterbrief als Marktzugangsregelung nicht gibt. Ich bitte Sie, dies entsprechend zur Kenntnis zu nehmen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Kollege Lange, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Niebel?

Christian Lange (Backnang) (SPD):

Gerne.

(Hubertus Heil [SPD]: Jetzt kommt eine Niebel-Granate!)

Dirk Niebel (FDP):

Lieber Kollege Lange, stimmen Sie mir zu, dass die von Ihnen genannten Veränderungen bezüglich der Berufe in den Anlagen A und B der Handwerksordnung zu einem überwiegenden Teil durch die Handwerksnovelle von 1998 zustande gekommen sind?

Christian Lange (Backnang) (SPD):

Das will ich gerne.

(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Dann ist das, was Sie sagen, aber doch getrickst!)

Dazu will ich das nächste Beispiel nennen, Herr Kollege Niebel. 1998 haben wir die Gerüstbauer von der Anlage B in die Anlage A heraufgestuft. Schauen Sie sich dort die entsprechenden Zahlen an. Von 1970 bis 1998 konnte die Zahl der Gerüstbauer in der Anlage B aufgrund des freien Marktzugangs eine ganz besondere Dynamik nehmen und expandieren. Nach der 1998 erfolgten Überführung in die Anlage A schrumpfte die Zahl der Betriebe aufgrund der Marktzugangsregelung, die wir alle gemeinsam hier im Deutschen Bundestag beschlossen haben,

(Dirk Niebel [FDP]: Nein, sondern weil Sie die Regierung übernommen haben!)

innerhalb von vier Jahren von 7 138 auf 4 934, das heißt um 35 Prozent. Das ist der schlagende Beweis dafür, dass eine Marktzugangsregelung ein strukturelles Element ist. Wir müssen es lockern, damit in Deutschland eine stärkere Gründungsdynamik Platz greifen kann.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Kollege Lange, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kolb?

Christian Lange (Backnang) (SPD):

Gerne.

Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):

Herr Kollege Lange, wenn es so ist, wie Sie es beschrieben haben, stellt sich mir die Frage: Warum ist der Gerüstbau auch in Ihrem Entwurf der überarbeiteten Anlage A weiterhin in dieser Anlage A aufgeführt?

Christian Lange (Backnang) (SPD):

Herr Kollege Kolb, die Kollegen, die vor mir gesprochen haben, haben Ihnen doch dargestellt, dass wir am Meisterbrief als Marktzugangsregelung in den Bereichen, wo es eine Gefahrengeneigtheit gibt, festhalten wollen, weil wir meinen, dass wir einen entsprechenden Schutz sicherstellen müssen.

(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])

Dass es eine entsprechende Dynamik durch die Veränderung der Marktzugangsregelung gibt, muss man zumindest einmal zur Kenntnis nehmen. Ihr zentrales Argument lautet doch, dass die Marktzugangsregelung keinerlei Einfluss auf die Gründungsdynamik in Deutschland hat. Das Gegenteil ist der Fall. Diese Zahlen belegen das.

Auch ein Blick in die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland belegt das.

(Dirk Niebel [FDP]: Das Problem war, dass Sie an die Regierung gekommen sind!)

Ich habe mir einmal die Mühe gemacht, nachzuschauen. In den Jahren 1949 bis 1953 gab es in Deutschland keinen Meisterzwang. Es ist interessant, sich hier einmal die Entwicklung anzuschauen. Ein Verlust der traditionellen Ausbildung zum Meister ist durch die Marktöffnung aufgrund des Wegfalls des Meisterzwangs nicht zu befürchten. Gab es 1949 in den damals zehn westlichen Bundesländern - ohne das Saarland und ohne Westberlin - 39 011 bestandene Meisterprüfungen, so sind es heute, nach der deutschen Einheit, bei einer höheren Bevölkerungszahl bundesweit 30 146, wie der Minister kürzlich vor dem Deutschen Bundestag ausgeführt hat.

(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das werden noch weniger!)

Auch das macht deutlich, dass Ihre Befürchtung, unser Gesetzentwurf könnte negative Auswirkungen haben, nicht der Wirklichkeit entspricht. Nehmen Sie diese schlichten Zahlen einfach zur Kenntnis. Entfernen Sie sich an dieser Stelle von der bloßen Polemik.

(Werner Wittlich [CDU/CSU]: Hören Sie doch auf mit dieser Arroganz!)

Versuchen Sie doch, Ihre Einwände rational zu begründen.

Auch das geltende EU-Recht zwingt uns zur Novellierung. Wir alle wissen: Nur noch Luxemburg hat eine entsprechende Berufszugangsschranke, die dem deutschen Meisterbrief ähnelt. Andere Staaten, etwa die Niederlande, haben ihre Bestimmungen auf gefahrengeneigte Tätigkeiten konzentriert. Österreich hat aufgrund eines Urteils des österreichischen Verfassungsgerichtshofs Inländer bei der Zulassung zur Handwerksausübung Angehörigen der übrigen EU-Staaten gleichgestellt.

(Dirk Niebel [FDP]: Die österreichische Verfassung gilt bei uns doch gar nicht!)

Handlungsbedarf besteht also unabweisbar. In der gesamten Europäischen Union gelten ähnliche Regelungen. Wir müssen dafür sorgen, dass der Meisterbrief auch in Zukunft europafest ist. Das ist das Ziel der Novelle. Ich bitte darum, dies zur Kenntnis zu nehmen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Durch die Aufhebung der Beschränkungen werden Existenzgründungen ebenso wie Unternehmensnachfolgen sowie die Schaffung und der Erhalt von Arbeitsplätzen und Lehrstellen wesentlich erleichtert. Den zulassungspflichtigen und zulassungsfreien Handwerken wird es nämlich ermöglicht, umfassende branchenübergreifende Leistungen anzubieten sowie auf Kundenwünsche flexibel zu reagieren. Außerdem werden vermehrt Angebote aus einer Hand möglich.

Neue, bisher unter Meistervorbehalt stehende Tätigkeitsfelder können ausgenutzt werden. So können zum Beispiel Kosmetikerinnen künftig auch Friseurleistungen anbieten. Dadurch wird die Erschließung neuer Absatzmärkte möglich. Innovationen können stärker als bisher für das Handwerk genutzt werden. Außerdem werden die bisher so häufigen Abgrenzungsprobleme zwischen den in der Anlage A verbliebenen Handwerken und den in die Anlage B überführten Handwerken beseitigt.

Ich möchte dazu ein Beispiel aus meinem eigenen Wahlkreis nennen. Eine Friseurmeisterin mit einem Betrieb in meiner Stadt wollte in der Nachbargemeinde eine Filiale eröffnen. Die entsprechende Kammer untersagte ihr dies, obwohl sie dadurch zwei Arbeitsplätze schaffen würde, mit der Begründung: Dies wäre mit der heute geltenden Handwerksordnung unvereinbar.

(Werner Wittlich [CDU/CSU]: Das ist doch bestimmt eine Ausnahme, Herr Kollege! - Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Was ist das für eine Kammer? - Werner Wittlich [CDU/CSU]: Nennen Sie die Kammer!)

Das darf eigentlich nicht wahr sein, ist aber leider Wirklichkeit in Deutschland. Erst als der Fall publik gemacht wurde, hat die Kammer reagiert: Sie wartet mit einer Entscheidung so lange, bis diese Gesetzesnovelle beschlossen ist.

(Werner Wittlich [CDU/CSU]: Das konnte die Meisterin auch ohne Sie machen! So ein Käse! Das sind an den Haaren herbeigezogene Beispiele!)

Ohne diese Novelle werden in Deutschland immer mehr Existenzen gefährdet. Damit muss Schluss sein. Auch das ist ein Grund, warum wir diese Novelle endlich umsetzen müssen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN -
Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das ist doch nicht wahr, Herr Lange!)

Die Gesetzesnovelle liegt nicht nur im Interesse der Gesellinnen und Gesellen und der Dynamik des Wirtschaftsstandorts Deutschland; sie liegt auch im Interesse der expansiven Meisterinnen und Meister, die schon heute eine entsprechende Qualifikation haben und ihren Betrieb voranbringen wollen. Deshalb bitte ich Sie herzlich: Hören Sie mit dieser ideologischen Diskussion auf!

(Werner Wittlich [CDU/CSU]: Das müssen gerade Sie sagen!)

Hören Sie damit auf, das Thema zu einem Kulturkampf hoch zu stilisieren! Konzentrieren Sie sich auf den Kern. Wir brauchen in Deutschland mehr Existenzgründungen und im Handwerk mehr Dynamik. Dem dient diese Novelle. In diesem Sinne bitte ich Sie um Zustimmung.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN -
Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Ein völlig falscher Ansatz!)

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