Urteile zu: Meisterzwang, Betriebsuntersagungen (§ 16 HwO), Hausdurchsuchungen, Betretungsrecht der HwK nach § 17 HwO, Rechtsmittelverzicht
Der Beschluss des Amtsgerichts Bergheim bezieht sich auf ein Bußgeld nach der Handwerksordnung in der alten Fassung.
Aktenzeichen: 48 OWi 285/06
In der Bußgeldsache
gegen
xxx - Betroffener -
wegen Verstoßes gegen die Handwerksordnung
hat das Amtsgericht Bergheim
am 26.05.2006
durch den Richter am Amtsgericht Metz-Zaroffe
beschlossen:
Der Antrag des Landrats des Rhein-Erft-Kreises vom 02.03.2006 auf Anordnung der Erzwingungshaft zur Vollstreckung seines Bußgeldbescheids vom 20.01.2004 - 32.34.46.7-H-106/03 - wird zurück gewiesen.
Die Kosten des Verfahrens, einschließlich der notwendigen Auslagen des Betroffenen, fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe:
Die Voraussetzungen für die Anordnung von Erzwingungshaft gemäß § 96 OWIG sind nicht gegeben. Es kann dahinstehen, ob die rein vollstreckungsrechtlichen Bedingungen erfüllt sind, unter denen das Gericht nach § 95 Abs. 1 OWiG die Erzwingungshaft anordnen kann. Insofern steht außer Zweifel, dass der Bußgeldbescheid gemäß § 89 OWiG formal vollstreckbar, weil rechtskräftig, und die 2-wöchige Schonfrist des § 95 Abs. 1 OWiG abgelaufen ist. Die auf 1.000 EUR festgesetzte Buße ist auch nur zum Teil gezahlt worden (§ 96 Abs. 1 Nr. 1 OWiG) - ohne Berücksichtigung der nicht mithilfe von Erzwingungshaft vollstreckbaren Gebühren und Auslagen stehen 567,70 EUR offen. Im Bußgeldbescheid wurde auch die Belehrung gemäß § 66 Abs. 2 Nr. 3 OWiG über die Möglichkeit der Erzwingungshaft ausgesprochen (§ 96 Abs. 1 Nr. 3 OWiG). Zweifel können nach der Einlassung des Betroffenen in seinem Schreiben vom 20.04.2006 nur hinsichtlich der Voraussetzungen Nrn. 2 und 4 des § 96 Abs. 1 OWiG bestehen, ob nämlich der Betroffene seine Zahlungsunfähigkeit nicht dargetan hat oder sonstige Umstände bekannt sind die seine Zahlungsunfähigkeit ergeben. Diesen Zweifeln muss aus nachfolgenden Gründen aber nicht nachgegangen werden.
Die gemäß § 96 Abs. 1 OWiG dem Gericht auferlegte Entscheidung über die Anordnung von Erzwingungshaft ist eine Ermessensentscheidung. Das Gericht kann, wenn u.a. die dort genannten Voraussetzungen gegeben sind, die Haft anordnen. Allein das Vorliegen der vollstreckungsrechtlichen Voraussetzungen begründet damit noch nicht die gerichtliche Entscheidung, es stellt vielmehr erst die Grundlage des richterlichen Entscheidungsprozesses dar. Daher verbietet es sich, Erzwingungshaft allein deswegen anzuordnen, weil die vollstreckungsrechtlichen Voraussetzungen vorliegen. Das Gericht hat vielmehr zu prüfen, ob außerhalb rein vollstreckungsrechtlicher Erwägungen andere Umstände hinzutreten, die gegen die Anordnung der Erzwingungshaft sprechen. Hierbei ist insbesondere der mit Verfassungsrang ausgestattete und bei der Auslegung und Anwendung der Normen des einfachen Rechts stets zu beachtende Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen. Mit dieser Maßgabe ist § 96 OWiG verfassungskonform (vgl. BVerfG, Beschl. v. 9.11.1976 - 2 BvL 1/76, BVerfGE 43, 101 ff. = NJW 1977, 293f.).
Dem Bußgeldbescheid dieses Verfahrens liegt ein Verstoß des Betroffenen gegen § 1 Abs. 1 der Handwerksordnung in der damals geltenden Fassung zugrunde. Nach den Feststellungen des Bescheids wurde der Betroffene am 04.11.2003 bei der Ausführung des Stukkateur-Handwerks angetroffen, obgleich er mit diesem Gewerbe nicht in die Handwerksrolle eingetragen war.
Damit gründet der Bußgeldbescheid auf dem Verstoß gegen eine Norm, deren Vereinbarkeit mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht zuletzt aus den Erwägungen in den Gründen des Beschlusses des BVerfG vom 05.12.2005 - 1 BvR 1730/02 - (GewArch 2006, 71 ff. = DVBI. 2006, 244 ff. = WRP 2006, 463 ff. = Stbg 2006, 146 ff.) ernsthaft in Zweifel zu ziehen ist. In dieser Entscheidung führt das BVerfG mit ausführlicher Begründung aus, dass mit Blick auf die Veränderung der wirtschaftlichen und rechtlichen Veränderungen gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts Zweifel daran angebracht seien, ob die gesetzgeberischen Ziele der Qualitätssicherung handwerklicher Leistungen und die Ausbildungssicherung noch hinreichend geeignet und erforderlich seien, um die bis Ende des Jahres 2003 geltenden Regelungen über die Ausgestaltung des Meisterzwangs ( 1 Abs. 1 i. V. m. § 7 Handwerksordnung) zu rechtfertigen.
Der Vollstreckungsbehörde ist zuzugestehen, dass das BVerfG mit der Kammerentscheidung vom 05.12.2005 § 1 der Handwerksordnung in der bis Ende 2003 geltenden Fassung weder mit dem Grundgesetz unvereinbar, noch gar für nichtig erklärt hat. Unmittelbare Folgewirkungen aus § 79 BVerfGG ergeben sich daher nicht. Auch begründen die geäußerten Zweifel an der Verhältnismäßigkeit von § 1 der Handwerksordnung a. F. keine Verbindlichkeit i. S. v. § 31 BVerfGG.
Das erkennende Gericht hält jedoch die Ausführungen des BVerfG für überzeugend und teilt die verfassungsrechtlichen Zweifel, ob die Einschränkung der durch Art. 12 GG gewährleisteten Berufsfreiheit durch § 1 der Handwerksordnung a. F. mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vereinbar war.
Dies führt für die Entscheidung über die Anordnung von Erzwingungshaft über den vom BVerfG entwickelten allgemeinen Rechtsgedanken, dass zukünftige Folgen, die sich aus einer zwangsweisen Durchsetzung verfassungswidriger Entscheidungen ergeben würden, abgewendet werden sollen (s. zuletzt BVerfG, Beschl. v. 06.12.2005 - 1 BvR 1905/02 m. w. N., FamRZ 2006, 253 ff. WM 2006, 23 ff. = ZIP 2006, 60 ff. = DStR 2006, 108 = DÖV 2006, 299 ff. = EUGRZ 2006, 174 ff.) zu einer Ermessensreduzierung auf Null. Die Anordnung von Erzwingungshaft wäre rechtswidrig. Die Vollstreckung einer auf einer mit hoher Wahrscheinlichkeit verfassungswidrigen Norm beruhenden Entscheidung, gar mit dem Mittel des Freiheitsentzugs, erscheint weder aus Sicht des Betroffenen zumutbar, noch ist sie aus rechtsstaatlicher Sicht und unter Berücksichtigung des Stellenwerts vertretbar, den das Grundgesetz der Menschenwürde und dem Recht der persönlichen Freiheit zuweist.
Dem Einwand der Vollstreckungsbehörde, der dem Beschluss des BVerfG vom 05.12.2005 zugrunde liegende Sachverhalt sei mit dem Sachverhalt, der zu dem hier in Rede stehenden Bußgeldbescheid geführt hat, nicht vergleichbar, muss nicht nachgegangen werden, denn jedenfalls unter dem entscheidenden rechtlichen Gesichtspunkt greift er nicht. Dem BVerfG dienten der Sachverhalt und die daran anknüpfenden Bußgeldentscheidungen zwar als Anlass für die Auseinandersetzung mit der Frage der Verfassungsmäßigkeit der zugrunde liegenden Norm des § 1 Handwerksordnung a. F. Diese Auseinandersetzung hat das BVerfG aber zu allgemeinen, und damit von den Besonderheiten des Anlass-Sachverhalts unabhängigen Erwägungen geführt : Im Rahmen einer vom Gericht zu treffenden bußgeldrechtlichen Ermessensentscheidung sind die verfassungsrechtlichen Zweifel an der Verhältnismäßigkeit der von dem Betroffenen verletzten Norm zwingend zu berücksichtigen.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 46 Abs. 1 OWiG, 467 Abs. 1 StPO.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (arg.e. § 104 Abs. 3 Nr. 1 OWiG)
Metz-Zaroffe
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