Handwerker kämpft seit 10 Jahren für Berufs- und Gewerbefreiheit
Seit annähernd 10 Jahren wehrt sich ein Raumausstatter vor Celler Gerichten gegen den Vorwurf der unerlaubten Handwerksausübung. Das Verfahren wird nun vor dem Amtsgericht ganz neu aufgerollt. Zum Prozessauftakt am 7. Februar sind, neben dem Angeklagten, insgesamt 7 (von 15) Zeugen geladen, die jetzt – 10 Jahre nach angeblichen begangenen Ordnunswidrigkeiten (!) – erstmals vor Gericht gehört werden sollen. Erwartet wird auch ein gerichtlich bestellter Sachverständiger. Er bescheinigt dem Ordnungsamt lückenhafte Ermittlungen, falsche Bußgeldberechnungen und unvollständige Bescheide.
Hintergrund für das Verfahren sind Verdächtigungen eines Fahnders aus dem Jahr 2010 und der Vorwurf der Schwarzarbeit. Allerdings nicht, weil der Handwerker Leistungen mangelhaft ausgeführt, Steuern und Sozialabgaben hinterzogen hätte oder es unzufriedene Kunden gegeben hätte. Nein, der heute 58-Jährige soll angeblich zu Unrecht Handwerksarbeiten ausgeführt haben, für die ein Meistertitel nötig gewesen sei.
Überzeugende Beweise für diese Behauptungen konnte das Ordnungsamt bis heute allerdings nicht vorlegen. Ein Bußgeldbescheid wurde deshalb 2012 zurückgenommen, eine von zwei durchgeführten Hausdurchsuchungen wurde als rechtswidrig eingestuft und ein gefordertes Bußgeld verringerte sich im Laufe des Langzeitprozesses von 8000, auf 4000, später auf 2500 Euro bis auf zuletzt weniger als 200 Euro. Zudem musste das Verfahren erst im November 2017 wieder ausgesetzt werden, weil ein Rechtsfehler drohte. Übrigens nicht der erste: Bereits das Oberlandesgericht Celle hatte den Rechtsstreit zur Neuverhandlung und Entscheidung wieder an das Amtsgericht zurück überwiesen, weil im gesamten Verfahrensverlauf nie unmittelbare Zeugen angehört worden waren.
Die Anwältin des mittlerweile 58-jährigen Raumausstatters, die erfahrene Handwerksrechtlerin Simone Baiker aus Düsseldorf, unterstreicht, dass die von ihrem Mandanten ausgeführten Handwerkstätigkeiten nicht meisterpflichtig seien. Sie gehörten auch zum Berufsbild von gleich mehreren nicht zulassungspflichtigen Handwerken die daher jedermann ausüben dürfe, ohne sich dadurch strafbar zu machen. Und selbst dann, wenn einige Tätigkeiten vom Gericht tatsächlich als meisterpflichtig eingestuft würden, dürften diese Arbeiten trotzdem rechtmäßig im „unerheblichen Nebenbetrieb“ erbracht werden. Wenn ein - aus handwerksrechtlicher Sicht - zulassungsfreier Raumausstatterbetrieb eine Hausfassade streicht, werde er dadurch nicht automatisch zu einem meisterpflichtigen Malerbetrieb, klärt die Fachanwältin auf.
„Es grenzt schon an einen Skandal, wie die Ordnungsbehörde auf Betreiben der Handwerkskammer und eines Gifhorner Schwarzarbeitsfahnders einen rechtschaffenen Handwerker fast 10 Jahre lang in Gerichtsverfahren verwickelt. Leitbild sollte die Berufs- und Gewerbefreiheit sein. Sowohl die Handwerksordnung als auch die Gewerbeordnung bieten genug Raum um den Meisterzwang nicht so eng auszulegen, wie es in Celle von Seiten des Landkreises favorisiert wird. Eine mögliche Verurteilung nach fast 10 Jahren Rechtsstreit wäre ein falsches Signal. Der Handwerker hat zufriedene Kunden, zahlt Steuern und Sozialabgaben und hatte gleich nach Ermittlungsbeginn einen Malermeister eingestellt und seine Gewerbeanmeldung ausgeweitet. Welchen Grund sollte es geben, diesen vorbildlichen Selbstständigen nun noch mit einem Bußgeld zu bestrafen und ihm damit Anwalts und Gerichtskosten aufzubürden, die längst auf mehrere Tausend Euro angewachsen sind?
"An diesem Verfahren zeigt sich auch exemplarisch wie absurd, rückwärtsgewandt und repressiv die aktuelle Kampagne der Handwerksverbände um die vermeintliche Notwendigkeit einer Wiedereinführung des Meisterzwangs bei den zulassungsfreien Handwerken ist. Kein Verbraucher und auch kein Handwerker hätte etwas davon. Nutznießer wäre einzig die „geschlossene Gesellschaft“ der Meisterbriefinhaber, die keine Konkurrenz schätzt. Die Folgen dieser Abschottungspolitik werden weithin kritisiert: Verschärfung des Fachkräftemangels, keine Verbesserung der handwerklichen Qualität und auch keine Steigerung der Ausbildungsleistung. So macht man das Handwerk unattraktiv und ruiniert seinen Ruf, anstatt es zu modernisieren.“
Prozessauftakt: 7. Februar 2019, 10 Uhr, Amtsgericht Celle, Mühlenstr. 8, Saal 124.
Folgetermine: Donnerstag, den 14. und 21. Februar, jeweils um 10 Uhr.
Neben der Unterschlagung von Steuern für geleistete Arbeit, der Nichtabführung von Sozialabgaben für Beschäftigte und dem unberechtigten Leistungsbezug durch „Schwarzarbeiter“, führt das „Gesetz zur Bekämpfung der Schwarzarbeit“ auch die unerlaubte Handwerksausübung auf. Sie liegt vor, wenn ein zulassungspflichtiges (meisterpflichtiges) Handwerk als stehendes Gewerbe selbstständig betrieben wird, ohne in damit in die Handwerksrolle eingetragen zu sein. Dadurch sehen sich meisterfreie Handwerksbetriebe immer wieder dem Vorwurf der „Schwarzarbeit“ ausgesetzt, wenn sie ohne Meistertitel zum Beispiel Wände streichen, Torten herstellen oder Schränke bauen.
Die Abgrenzung von meisterpflichtigen zu nicht-meisterpflichtigen Tätigeiten ist extrem schwierig und juristisch umstritten.
In der Praxis stellt sich oft die Frage, ob ein Hauptbetrieb (hier: Raumausstatter) zulassungspflichtige handwerkliche Tätigkeiten (hier: Malerarbeiten) in geringerem Umfang ausüben darf. Besteht zwischen dem Haupt- und dem handwerklichen Nebenbetrieb ein wirtschaftlich-fachlicher Zusammenhang, so ist die Ausübung von zulassungspflichtigen handwerklichen Tätigkeiten durch den Hauptunternehmer dann erlaubt, wenn der Umfang eines unerheblichen Nebenbetriebs nicht überschritten wird. Nach § 3 Abs. 2 HwO ist dieser unerhebliche Umfang die durchschnittliche Arbeitszeit eines ohne Hilfskräfte in Vollzeit arbeitenden Betriebs des betreffenden Handwerkszweigs (ca. 1664 Std/Jahr).
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