Urteile zu: Meisterzwang, Betriebsuntersagungen (§ 16 HwO), Hausdurchsuchungen, Betretungsrecht der HwK nach § 17 HwO, Rechtsmittelverzicht
(Abschrift)
des Herrn H...
- Bevollmächtigter: Rechtsanwalt Walter Ratzke, Bahnhofstraße 7, 92507 Nabburg -
gegen
a) den Beschluss des Landgerichts Augsburg vom 8. Januar 2003 - 5 Qs 647/02, 5 Qs 648/02 -,
b) den Beschluss des Amtsgerichts Augsburg vom 21. Oktober 2002 - 1 OWi 514 Js 139549/01 -,
c) den Beschluss des Amtsgerichts Augsburg vom 26. August 2002 - 1 OWi 514 Js 139549/01 -
hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts
durch den Richter Broß,
die Richterin Osterloh
und den Richter Mellinghoff
gemäß § 93c in Verbindung mit § 93a Abs. 2 Buchstabe b
BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom
11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 27. Juli 2007 einstimmig
beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Anordnung einer Durchsuchung der Wohn- und Geschäftsräume des Beschwerdeführers wegen des Verdachts handwerksrechtlicher Verstöße.
1. Der Beschwerdeführer betreibt seit 1992 ein Gewerbe, das als „Holz- und Bautenschutz“ angemeldet ist. In einem gegen seinen Bruder durchgeführten Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Beauftragung mit Schwarzarbeit gemäß § 2 Abs. 1 SchwarzArbG (Gesetz zur Bekämpfung der Schwarzarbeit in der Fassung der Bekanntmachung vom 6. Februar 1995, zuletzt geändert durch Gesetz vom 16. Dezember 1997) wurden bei einer Wohnungsdurchsuchung zahlreiche Rechnungen des Beschwerdeführers aufgefunden, die nach Ansicht der Ermittlungsbehörden auf die unerlaubte Ausübung eines Handwerks durch den Beschwerdeführer hindeuteten. Auf der Grundlage dieser Rechnungen wurde am 16. Juli 2001 gegen den Beschwerdeführer wegen des Verdachts einer Ordnungswidrigkeit nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 SchwarzArbG (in der Fassung der Bekanntmachung vom 6. Februar 1995) im Zeitraum zwischen Januar 1998 und Oktober 2000 ein Bußgeldbescheid verhängt, der nach Einlegung eines Einspruchs durch weiteren Bescheid vom 17. Oktober 2001 dahingehend abgeändert wurde, dass der Beschwerdeführer anstelle von 16.811 DM noch 12.600 DM zu zahlen hatte. Nachdem der Beschwerdeführer auch hiergegen Einspruch eingelegt hatte, fand am 23. August 2002 eine mündliche Hauptverhandlung statt, die am selben Tag zur Durchführung weiterer Ermittlungen unterbrochen wurde.
2. Mit angegriffenem Beschluss vom 26. August 2002 ordnete das Amtsgericht die Durchsuchung der Wohn- und Geschäftsräume des Beschwerdeführers in der R-Straße in S. nach „schriftlichen Unterlagen über handwerkliche Leistungen“ an. Der Beschwerdeführer sei aufgrund der durchgeführten Ermittlungen „verdächtig, handwerkliche Leistungen ohne die erforderliche Eintragung in die Handwerksrolle in erheblichem Umfang durchgeführt und damit eine Ordnungswidrigkeit nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 SchwarzArbG begangen zu haben“.
3. Mit angegriffenem Beschluss vom 21. Oktober 2002 erweiterte das Amtsgericht den Durchsuchungsbeschluss vom 26. August 2002 auf die Geschäftsräume des Beschwerdeführers in der B-Straße in A. Auf die Gründe des Beschlusses vom 26. August 2002 werde Bezug genommen.
4. Die gegen beide Durchsuchungsbeschlüsse eingelegte Beschwerde verwarf das Landgericht mit angegriffenem Beschluss vom 8. Januar 2003 als unbegründet. Aufgrund der Ermittlungen des Landratsamts habe ein auf tatsächlichen Anhaltspunkten beruhender Anfangsverdacht gegen den Beschwerdeführer vorgelegen. Der Beschwerdeführer stehe im Verdacht, im Zeitraum von Januar 1998 bis Oktober 2000 unerlaubte Handwerkstätigkeiten im Umfange von 336.796,91 DM ausgeübt und dadurch einen wirtschaftlichen Vorteil von mindestens 12.000 DM erlangt zu haben. Das dem Beschwerdeführer zur Last gelegte Verhalten werde in den Durchsuchungsbeschlüssen noch hinreichend konkret genug bezeichnet. Der Umfang der Maßnahme werde durch die Umschreibung der aufzufindenden Beweismittel ebenfalls ausreichend begrenzt. Unerheblich sei dagegen, dass der Zeitraum des Tatvorwurfs nicht näher eingegrenzt worden sei. Durch die Anführung des Aktenzeichens des Hauptverfahrens im Rubrum sei für jede amtliche Untersuchungsperson erkennbar gewesen, dass Gegenstand der Anordnung der Vorwurf aus dem Bußgeldbescheid des Landratsamts Augsburg sei, in dem der Zeitraum von Januar 1998 bis Oktober 2000 konkret angeführt worden sei. Insoweit gehe auch der Einwand des Beschwerdeführers, er habe sich mangels Konkretheit der Anordnungen des Amtsgerichts nicht hinreichend verteidigen können, ins Leere. Der Bußgeldbescheid sei ihm förmlich zugestellt worden und er sei in der mündlichen Hauptverhandlung darauf hingewiesen worden, dass weitere umfangreiche Ermittlungen zur Feststellung der Leistungen des Beschwerdeführers auf Baustellen durchzuführen seien. Mangels Erweiterung des Tatvorwurfs in den Durchsuchungsbeschlüssen sei dem Beschwerdeführer dieser in allen Einzelheiten bekannt gewesen. In Anbetracht der Vielzahl der dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Taten und des Umfangs des von ihm erlangten wirtschaftlichen Vorteils seien die Durchsuchungsbeschlüsse auch verhältnismäßig.
Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 2, Art. 3, Art. 12, Art. 13, Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 2 und Art. 103 GG.
Die Fachgerichte hätten nicht hinreichend geprüft, ob der Beschwerdeführer den ihm zur Last gelegten Tatvorwurf auch vorsätzlich erfüllt habe. Ferner ergebe sich aus der Wortwahl des Landgerichts („Aufdeckung von Schwarzarbeit“), dass die Durchsuchung der Ausforschung und nicht der Feststellung und Beweissicherung gedient habe. Ferner hätten die Fachgerichte handwerkliche Tätigkeiten nicht von nicht dem Meisterzwang unterliegenden Tätigkeiten abgegrenzt.
Die angegriffenen Beschlüsse ließen nicht erkennen, welches konkrete Verhalten dem Beschwerdeführer zur Last gelegt werde. Ein Durchsuchungsbeschluss, der weder tatsächliche Angaben zum Inhalt des Tatvorwurfs enthalte noch die Art und den denkbaren Inhalt der gesuchten Beweismittel bezeichne, genüge den rechtsstaatlichen Anforderungen nicht. Der Ermittlungsrichter dürfe das Ziel und das Ausmaß der Durchsuchung nicht den Durchsuchungsbeamten überlassen, sondern müsse durch geeignete Formulierungen im Durchsuchungsbeschluss den Zweck und die Grenzen der Maßnahme festlegen.
Zudem sei eine Durchsuchungsmaßnahme zur Verfolgung handwerksrechtlicher Verstöße grundsätzlich unverhältnismäßig. Der in der Handwerksordnung festgeschriebene Meisterzwang sei verfassungswidrig, so dass auch die zur Ermittlung von Verstößen gegen den Meisterzwang durchgeführten Durchsuchungsmaßnahmen verfassungswidrig seien. Die Regelungen der Handwerksordnung seien zu unbestimmt, so dass ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG vorliege. Zudem bestünden europarechtliche Einwände gegen den Meisterzwang.
1. Der Freistaat Bayern hat zu der Verfassungsbeschwerde nicht Stellung genommen.
2. Dem Bundesverfassungsgericht haben die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft Augsburg vorgelegen.
Die Verfassungsbeschwerde wird zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Zu dieser Entscheidung ist die Kammer berufen, weil die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden sind und die Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet ist (§ 93c Abs. 1 BVerfGG).
1. Die angegriffenen Beschlüsse verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 und Abs. 2 GG.
a) Der gerichtliche Durchsuchungsbeschluss dient auch dazu, die Durchführung der Eingriffsmaßnahme messbar und kontrollierbar zu gestalten (vgl. BVerfGE 20, 162 <224>; 42, 212 <220>; 103, 142 <151>). Dazu muss der Beschluss insbesondere den Tatvorwurf so beschreiben, dass der äußere Rahmen abgedeckt ist, innerhalb dessen die Zwangsmaßnahme durchzuführen ist. Um die Durchsuchung rechtsstaatlich zu begrenzen, muss der Richter die aufzuklärende Straftat oder Ordnungswidrigkeit, wenn auch kurz, doch so genau umschreiben, wie es nach den Umständen des Einzelfalls möglich ist (vgl. BVerfGE 20, 162 <224>; 42, 212 <220 f.>). Der Richter muss weiterhin grundsätzlich auch die Art und den vorgestellten Inhalt derjenigen Beweismittel, nach denen gesucht werden soll, so genau bezeichnen, wie es nach Lage der Dinge geschehen kann. Nur dies führt zu einer angemessenen rechtsstaatlichen Begrenzung der Durchsuchung, weil oft eine fast unübersehbare Zahl von Gegenständen als - wenn auch noch so entfernte - Beweismittel für den aufzuklärenden Sachverhalt in Frage kommen können (vgl. BVerfGE 20, 162 <224>). Der Schutz der Privatsphäre, die auch von übermäßigen Maßnahmen im Rahmen einer an sich zulässigen Durchsuchung betroffen sein kann, darf nicht allein dem Ermessen der mit der Durchführung der Durchsuchung beauftragten Beamten überlassen bleiben (vgl. BVerfGE 42, 212 <220>). Ein Durchsuchungsbefehl, der keinerlei tatsächliche Angaben über den Inhalt des Tatvorwurfs enthält und der zudem den Inhalt der konkret gesuchten Beweismittel nicht erkennen lässt, wird rechtsstaatlichen Anforderungen jedenfalls dann nicht gerecht, wenn solche Kennzeichnungen nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen ohne weiteres möglich und den Zwecken der Strafverfolgung nicht abträglich sind (vgl. BVerfGE 42, 212 <220 f.>; 44, 353 <371>; 45, 82; 50, 48 <49>; 71, 64 <65>).
b) Diesen Anforderungen werden die angegriffenen Durchsuchungsbeschlüsse und der sie bestätigende Beschluss des Landgerichts nicht gerecht.
aa) Die angegriffenen Durchsuchungsbeschlüsse umschreiben die dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Taten dahingehend, dass er verdächtig sei, handwerkliche Leistungen ohne die erforderliche Eintragung in die Handwerksrolle in erheblichem Umfang durchgeführt und damit eine Ordnungswidrigkeit nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 SchwarzArbG begangen zu haben. Die Angaben zum Tatvorwurf beschränken sich auf die Wiedergabe des gesetzlichen Tatbestands des § 1 Abs. 1 Nr. 3 SchwarzArbG (in der Fassung der Bekanntmachung vom 6. Februar 1995). Auf den konkreten Einzelfall bezogene Angaben fehlen hingegen gänzlich. Auch der von den Ermittlungsbehörden angenommene Tatzeitraum - Januar 1998 bis Oktober 2000 - wird ohne ersichtliche Gründe nicht genannt. Die in den Beschlüssen des Amtsgerichts genannten Beweismittel sind nicht geeignet, den Mangel der Tatkonkretisierung auszugleichen. Die Durchsuchungsbeschlüsse nennen als aufzufindende Beweismittel lediglich „schriftliche Unterlagen über handwerkliche Leistungen“; eine Spezifizierung des Tatvorwurfs ist auf dieser Grundlage nicht zu erzielen.
Dass eine nähere Konkretisierung und Gewichtung des Tatvorwurfs in der Begründung des Beschlusses nach der Lage des Einzelfalls unmöglich oder aus ermittlungstaktischen Gründen unangebracht gewesen wäre, ist auszuschließen. Bereits der Bußgeldbescheid vom 17. Oktober 2001 enthielt nähere Angaben zum Tatvorwurf. Allein die Existenz dieses Bußgeldbescheids in den Akten enthob den Ermittlungsrichter aber nicht der Aufgabe, eigene Anweisungen zur Eingriffsbegrenzung in den Beschlusstext aufzunehmen. Er konnte sich nicht etwa darauf verlassen, dass die Beamten, die den Durchsuchungsbeschluss vollziehen würden, den der Durchsuchungsanordnung nicht beigefügten Bußgeldbescheid kennen und als Maßstab für eine Eingriffsbegrenzung der richterlich gestatteten Durchsuchung beachten würden. Insbesondere kann - entgegen der Ansicht des Landgerichts - nicht erwartet werden, dass die Durchsuchungsbeamten allein anhand der Nennung des Aktenzeichens des Bußgeldbescheids im Rubrum des Durchsuchungsbeschlusses erkennen, welchen Gegenstand dieses Verfahren hat und nach welchen weiteren Beweismitteln zu suchen sei.
bb) Das Landgericht hat den Verfassungsverstoß fortgesetzt. Eine nachträgliche Heilung des vollzogenen Durchsuchungsbeschlusses kam nicht in Betracht. Der mit der Begrenzungsfunktion des Durchsuchungsbeschlusses bezweckte Schutz, dem Beschwerdeführer von vornherein eine Kontrolle der Durchsuchung zu ermöglichen, liefe leer, wenn es entsprechend der fachgerichtlichen Auffassung ausreichend wäre, dass eine Durchsuchungsanordnung verfassungsrechtlichen Anforderungen möglicherweise hätte genügen können (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 5. Mai 2000 - 2 BvR 2212/99 -, NStZ 2000, S. 601). Der Schutzzweck der Durchsuchungsanordnung konnte zu einem späteren Zeitpunkt - anders als bei der regelmäßig nicht zwingend notwendigen Angabe von Indiztatsachen und Beweisgrundlagen (vgl. BVerfGK 1, 51 <52>) - nicht mehr erreicht werden.
2. Auf die weiteren von dem Beschwerdeführer geltend gemachten Grundrechtsverletzungen und auf die Vereinbarkeit des für die Eintragung in die Handwerksrolle in der Regel erforderlichen Befähigungsnachweises für das Handwerk mit dem Grundgesetz kommt es nach alldem nicht an. Die Frage kann hier offen bleiben, da jedenfalls eine Verletzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 13 Abs. 1 und Abs. 2 GG festzustellen ist, die der Verfassungsbeschwerde zum Erfolg verhilft.
Die angegriffenen Beschlüsse sind aufzuheben (§ 95 Abs. 2 BVerfGG). Die Sache wird an das Landgericht zurückverwiesen, das noch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben wird.
Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Broß Osterloh Mellinghoff
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