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Urteile zu: Meisterzwang, Betriebsuntersagungen (§ 16 HwO), Hausdurchsuchungen, Betretungsrecht der HwK nach § 17 HwO, Rechtsmittelverzicht

Landgericht Itzehoe: Reifenmontage fällt nicht unter den Meisterzwang

Landgericht Itzehoe: Az. 5 0 56/07 vom 25.09.2007

(Abschrift)

Verkündet am 25. September 2007

Nach Informationen des Landgerichts ist die Entscheidung rechtskräftig geworden.

Landgericht Itzehoe: 5 0 56/07

In dem Rechtsstreit

Kläger -

gegen

Beklagter -

Prozessbevollmächtigter

hat die 5. Zivilkammer des Landgerichts Itzehoe - Kammer für Handelssachen 1 - mit Zustimmung beider Parteien im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO auf die bis zum 17. September 2007 eingegangenen Schriftsätze der Parteien durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht .........als Vorsitzenden für Recht erkannt:

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Zulassungsvoraussetzungen für das von dem Beklagten betriebene Unternehmen.

Der Kläger ist ein bundesweiter Wirtschaftsverband des Reifenhandels und des Vulkaniseurhandwerks mit ca. 1.600 Fachbetrieben und 3.184 Verkaufsstellen. Er repräsentiert danach etwa 80 % der gesamten Branche. In Schleswig-Holstein sind ihm rund 140 Unternehmen angeschlossen. Zu seinen satzungsgemäßen Aufgaben gehört die Vertretung der wirtschaftlichen und wettbewerbsrechtlichen Interessen seiner Mitglieder (Ziffern 2.4 und 2.43 der Satzung -Anlage zur Klageschrift).

Der Beklagte betreibt einen Reifenhandel und bietet daneben Reifenmontagen, also Reifenwechsel mit Auswuchten und Felgenmontage mit vorausgehenden Zustandsprüfungen an und führt sie durch. Dabei machen diese Tätigkeiten - nach seinen Angaben - etwa 20 % seines Umsatzes aus, während 80 % mit dem Reifenhandel erzielt werden. Der Beklagte, der seit 2001 im Bereich Reifenvertrieb und -montage tätig ist, ist selbst weder Vulkaniseur- oder Reifenmechanikermeister noch beschäftigt er einen solchen in seinem Betrieb.

Diesen Umstand hält der Kläger für unzulässig und deshalb wettbewerbswidrig. Er meint - im wesentlichen gestützt auf ein in seinem Auftrag erstelltes Gutachten des früheren Leiters des Fröhler-Instituts für Handwerkswissenschaften Dr. Joachim Kormann (Anlage zur Klageschrift) - dass die vom Beklagten angebotene und durchgeführte Reifenmontage nach § 1 der Handwerksordnung n. F. (HwO) zulassungspflichtig sei. Die Reifentechnik habe sich in den letzten Jahrzehnten zu einer ausgefeilten Spitzentechnologie entwickelt, die vom Monteur ein sehr hohes und breit gefächertes Maß an Kenntnissen schon vor der Montage von Reifen, bei der Beratung von Kunden und bei dem Montieren von Reifen voraussetze. Dieser für die Leitung eines selbständigen Betriebes erforderliche Wissensstand könne nur durch eine vollständige Ausbildung zum handwerklichen Meister in einem entsprechenden Ausbildungsberuf erlangt werden. Die aus der Typenvielfalt verschiedenartiger Rad-/Reifenkombinationen resultierende Gefahr einer Falschberatung oder fehlerhaften Reifenmontage könne zu gravierenden Folgeschäden bis hin zu Unfällen oder dem Verlust der allgemeinen Betriebserlaubnis (für das betroffene Fahrzeug) führen. Die deshalb aus der modernen Reifenmontage resultierende Gefahrengeneigtheit führe bei einer Auslegung des § 1 Abs. 2 Satz 2 HwO im Rahmen einer vorzunehmenden teleologischen Reduktion zu dem Ergebnis, dass selbst bei formalem Vorliegen der Voraussetzungen der dort genannten Ausnahmetatbestände die Montage von Reifen ausschließlich durch von einem ausgebildeten Meister geführte Betriebe durchgeführt werden dürften.

Der Kläger beantragt,

Der Beklagte beantragt,

Er leugnet die Klagebefugnis des Klägers sowie das Vorliegen eines wettbewerbsrechtlichen Streites. Es gehe allein um die verwaltungsrechtlich relevante Frage der Zulassung seines Betriebes. Die Klage sei auch deshalb unzulässig, weil sie keine gesetzlichen Grundlagen für das mit der Klage verfolgte Unterlassungsbegehren benenne. Das Ansinnen des Klägers sei schließlich auch unbegründet. Angesichts der untergeordneten Bedeutung der Reifenmontage in seinem Betrieb (gegenüber dem Reifenhandel) unterfalle diese der Ausnahmeregelung des § 1 Abs. 2 Satz 2 HwO. Sie, die Reifenmontage, stelle sich im Vergleich zu anderen handwerklichen oder handwerksnahen Tätigkeiten, die nicht zulassungspflichtig seien, auch nicht als besonders "gefahrengeneigt" dar. Dieses Kriterium sei im Rahmen der Neufassung der Handwerksordnung vom Gesetzgeber bewusst ausgeklammert worden und könne deshalb bei der Auslegung der Vorschrift - zumal im Wege einer teleologischen Reduktion - nicht herangezogen werden. Mangels die Berufsfreiheit (Art. 12 GG) wirksam einschränkender Vorschriften könne ihm die Ausübung seines Gewerbes nicht verwehrt werden.

I.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der bis zum 17. September 2007 bei Gericht eingegangenen Schriftsätze einschließlich des an diesem Tag per Fax eingegangenen Schriftsatzes des Beklagten vom gleichen Tag verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zwar zulässig (I.), indessen nicht begründet.

Die Klage ist zulässig. Der Kläger ist gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG klagebefugt. Er ist ein bundesweit tätiger Berufsverband, der nach seiner Satzung unter anderem die wettbewerbsrechtlichen Interessen seiner Mitglieder wahrzunehmen hat. Berufsverbände mit dieser Zweckbestimmung sind befugt, Wettbewerbsverstöße zu verfolgen und deren Unterlassung zu veranlassen (Köhler in Hefermehl/Köhler/Bornkamm, 25. Aufl. 2007, Rdnr. 3.35 zu § 8 UWG). Konkrete Gründe für eine fehlende Klagebefugnis des Klägers oder sonstige Zulässigkeitsbedenken hinsichtlich der Klage hat der Beklagte nicht in relevanter Weise vorgetragen. Soweit der Beklagte unter Berufung auf ein Urteil des Landgerichts Mainz vom 31. Januar 2006 - 10 HKO 54/05 - eine fehlende rechtliche Substantiierung der Klage rügt, vermag dem die Kammer - jedenfalls für den vorliegenden Streit - nicht zu folgen. Der Kläger beanstandet die Tätigkeit des Beklagten als wettbewerbswidrig, weil sie gegen geltendes Recht verstoße. Damit ist die "Anspruchsgrundlage" für das aus § 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2 UWG ableitbare Unterlassungsbegehren mit den §§ 3, 4 Nr. 11 UWG hinreichend bestimmt.

Die Klage ist indessen unbegründet.

Unter den im Verhältnis der Parteien zueinander ausschließlich entscheidungsrelevanten wettbewerbsrechtlichen Gesichtspunkten kommt allein die schon zitierte Anspruchsgrundlage zugunsten des Klägers aus § 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2 i. V. m. den §§ 3, 4 Nr. 11 UWG in Betracht. Deren Voraussetzungen liegen indessen nicht vor.

1 Zugunsten des Klägers - und damit der durch ihn vertretenen Mitbewerber gegenüber dem Beklagten - wird davon ausgegangen, dass die Nichtbeschäftigung eines ausgebildeten Meisters etwa der Kraftfahrzeugtechnik (Nr. 20 der Anlage A zu § 1 HwO), als Vulkaniseur oder Reifenmechaniker (Nr. 41 zur Anlage A) im Betrieb des Beklagten zu einem nach § 3 UWG erforderlichen erheblichen (!) Wettbewerbsvorteil des Beklagten gegenüber solchen Mitbewerbern führt, die einen solchen Meister als Betriebsleiter (§ 7 HwO) beschäftigen. Es kann unterstellt werden, dass allein die höhere Vergütung für einen solchermaßen anzustellenden Betriebsleiter die Kosten im Bereich der Reifenmontage im Betrieb des Beklagten im Vergleich zu Mitbewerbern mit einem Handwerksmeister als Betriebsleiter die diesbezüglichen Betriebskosten deutlich mindern.

2. Auch wenn also unterstellt wird, dass die Nichtbeschäftigung eines im Kraftfahrzeughandwerk im weitesten Sinn ausgebildeten Meisters dem Beklagten einen im Sinne von § 3 UWG erheblichen Wettbewerbsvorteil verschafft, so ergibt sich daraus eben noch nicht der mit der Klage verfolgte Unterlassungsanspruch. Erforderlich dafür wäre, dass der Beklagte tatsächlich gegen Bestimmungen der Handwerksordnung verstößt. Das ist indessen nicht der Fall.

a) Nach der Legaldefinition des § 1 Abs. 2 HwO handelt es sich bei dem Betrieb des Beklagten bei einer am Wortlaut der Vorschrift orientierten Auslegung nicht um einen zulassungspflichtigen Handwerksbetrieb. Sein Schwerpunkt liegt unstreitig im Bereich des Reifenhandels, der als solcher nicht zulassungspflichtig ist. Eine gleichwohl denkbare Zulassungspflicht ergäbe sich deshalb nach § 1 Abs. 2 Satz 2 HwO nur dann, wenn im Betrieb des Beklagten Tätigkeiten ausgeübt würden, die für ein zulassungspflichtiges Gewerbe wesentlich wären. Im Betrieb des Beklagten werden neben dem Reifenhandel die Montage von Felgen und Reifen sowie deren Auswuchten ausgeführt. Hierbei handelt es sich in der reinen Ausführung um technisch einfache Vorgänge, die in relativ kurzer Zeit (§ 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 HwO) erlernt werden können und auch nicht das durchaus komplexe Berufsbild etwa eines Vulkaniseurmeisters wesentlich prägen (§ 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 HwO). Dies gilt - hinsichtlich der bloßen Montage - auch für die in den letzten Jahren entwickelten "intelligenten" Reifen sowie angesichts der Vielfalt von Reifentypen.

Soweit der Kläger dies damit in Frage stellen will, dass die Reifenmontage angesichts dieser Entwicklung der Reifentechnologie mit vielschichtigen Beratungs- und Hinweispflichten, etwa in der Form vertraglicher Nebenpflichten aus einem Montageauftrag, verbunden ist, kann dem nicht gefolgt werden. Diese Verpflichtung des Beklagten gegenüber seinen Kunden folgt bereits aus dem (zulassungsfreien) Kerngeschäft seines Betriebes, dem Verkauf von Reifen. Wenn überhaupt wäre für eine deshalb nur theoretisch anzusprechende Beratungs- und Hinweispflicht des Beklagten aus einem Montageauftrag nur dann Raum, wenn ein solcher seinem Betrieb ohne einen damit verbundenen Kauf von Reifen erteilt würde.

b) Gibt der Wortlaut des § 1 Abs. 2 HwO also nichts für eine Zulassungspflicht des Betriebes des Beklagten her, so lässt sich dieses Ergebnis auch nicht mit dem Hinweis auf die Gefahrengeneigtheit der Reifenmontage im Wege einer teleologischen Reduktion der Vorschrift begründen.

Schon in der bis 2003 geltenden Handwerksordnung spielte der Begriff der "Gefahrengeneigtheit" für die Zulassungspflichtigkeit eines handwerklich orientierten Betriebes keine Rolle. Vorrangiges Ziel des Gesetzes war die Qualitätssicherung handwerklicher Leistungen, unter die neben anderen Gesichtspunkten auch jener der Gefahrengeneigtheit subsumiert werden kann, sowie die Erhaltung eines hohen Ausbildungsstandards. Das Ziel der Qualitätssicherung hat das Bundesverfassungsgericht im Verhältnis zur Berufsausübungsfreiheit gemäß Art 12 GG relativiert (Urt. v. 05.12.2005 - 1 BvR 1730/02). Auch die neu gefasste Handwerksordnung lässt de lege lata keinen Bezug zur Gefahrengeneigtheit der reglementierten Tätigkeiten erkennen. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber diesen Aspekt als denkbar maßgebendes Kriterium für die Bestimmung zulassungspflichtiger Tätigkeiten im handwerklichen Bereich übersehen hat. Dem gemäß ist kein Wertungswiderspruch zwischen dem vom Gesetzgeber Gewollten und dem im Gesetz tatsächlich Niedergelegten zu erkennen. Folge dessen könnte konsequenterweise nur eine Verfassungswidrigkeit der Handwerksordnung neuer Fassung sein, nicht aber eine geltungserhaltende Auslegung, die den Anwendungsbereich des Gesetzes tatsächlich nicht reduziert sondern über ihren Wortlaut hinaus erweitert.

Eine zum Verfahren nach Art. 100 GG führende Verfassungswidrigkeit der Handwerksordnung neuer Fassung vermag die Kammer indessen gerade im Licht des schon zitierten Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 05. Dezember 2005 nicht zu erkennen. Dieses Urteil setzt sich zwar mit der bis 2003 geltenden Fassung der Handwerksordnung auseinander, zeigt aber - in Abgrenzung zu Art 12 GG - deutlich die zulässigen Grenzen einer einfachgesetzlichen Beschränkung handwerklicher Tätigkeiten auf. Danach mussten die Ziele der alten Handwerksordnung (Qualitäts- und Ausbildungssicherung) an den sich seit 1953 (Normierung des Meisterzwanges) wesentlich veränderten rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zum Ende des letzten Jahrhunderts messen lassen. Als Stichworte hierfür sind beispielhaft zu nennen die internationale Konkurrenzsituation innerhalb der Europäischen Union, in der es nahezu in keinem Land eine der deutschen Meisterprüfung entsprechende Zulassungsbeschränkung gibt, sowie die Zweifelhaftigkeit der Meisterprüfung als Voraussetzung für eine qualitativ ausreichende Ausbildung des Nachwuchses der im handwerklichen Bereich Tätigen, und zwar sowohl im selbständigen Handwerksbetrieb als auch in der gesamten gewerblichen Wirtschaft. Schließlich kann auch - gerade mit Blick auf die vom Kläger vorrangig ins Feld geführte Gefahrengeneigtheit bestimmter handwerklicher Tätigkeiten - nicht außer Betracht bleiben, dass sich der Schutz der Verbraucher (als eines der beiden Kernziele der europäischen Gemeinschaftspolitik neben der Wettbewerbsfreiheit) im Laufe der letzten Jahrzehnte auch auf nationaler Ebene deutlich verbessert hat. Als Beispiel hierfür sei nur das Produkthaftungsgesetz vom 15. Dezember 1989, zuletzt geändert durch Gesetz vom 19. Juli 2002, genannt.

3. Zusammenfassend vermag die Kammer daher weder eine Zulassungspflicht des Betriebes des Beklagten nach der derzeit geltenden Handwerksordnung noch deren Verfassungswidrigkeit zu erkennen. Da - neben § 4 Nr. 11 UWG - weitere Tatbestände nicht ersichtlich sind, nach denen der Betrieb des Beklagten wettbewerbswidrig geführt sein könnte, ist die Klage als unbegründet abzuweisen.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO.

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