BUH-Stellungnahmen, Argumente gegen den Meisterzwang, Studien zum Meisterzwang, Thesen zum Meisterzwang Qualität, Ausbildungsleistung, Inländerdiskriminierung, Meisterzwang ist verfassungswidrig
In der Zeitung Die Welt vom 31.07.2006 wurde von einem Gutachten berichtet, das von einem Spitzenbeamten im bayerischen Wirtschaftsministerium für den Bundesverband der Reifenhändler erstellt wurde. Im Gutachten wurde behauptet, dass Reifenmontage keine "einfache Tätigkeit" sei, sondern Meistern vorbehalten werden müsse.
Nach groben Schätzungen des DIHK wäre damit circa 10.000 Betrieben eine wichtige Einnahmequelle entzogen.
Der BUH hat daraufhin ein Rechtsgutachten von Prof. Dr. jur. Peter Baumeister (Öffentliches Recht, Sozialrecht und Europarecht an der Universität Mannheim) zu der Frage, ob gewerbliche Reifenmontage ein zulassungspflichtiges Handwerk ist, erstellen lassen.
In seiner Zusammenfassung kommt Prof Baumeister zu folgendem Ergebnis:
Eine handwerksrechtliche Zulassungspflicht besteht nur für Tätigkeiten, die als stehendes Gewerbe handwerksmäßig betrieben werden und die entweder ein Gewerbe der Anlage A zur HwO vollständig umfassen oder für dieses Gewerbe wesentlich sind (§ 1 Abs. 2 i. V. mit § 1 Abs. 1 HwO). Von besonderer Relevanz für die Beurteilung der Reifenmontage ist die Frage der Erfüllung der letztgenannten Voraussetzung der Handwerksfähigkeit. Dazu ist zunächst festzustellen, daß die Tätigkeit der Reifenmontage keines der Gewerbe der Anlage A zur HwO vollständig umfaßt. Zum anderen handelt es sich bei der Reifenmontage in aller Regel nicht um eine wesentliche Tätigkeit eines in Anlage A zur HwO aufgeführten Handwerks. Angesichts des sehr begrenzten Tätigkeitsumfangs stellt sich die Montage als eine einfache Tätigkeit mit kurzer Anlernzeit gem. § 1 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 HwO dar. Dies gilt nicht nur für die Montage von Reifen „althergebrachter Bauart“. Auch die Montage von neuartigen, sog. „intelligenten Reifen“ (etwa Runflat-Reifen mit Reifendruckkontrollsystem RDKS) weist keine wesentlich längere Anlernzeit auf, so daß auch diese Tätigkeit gem. § 1 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 HwO keiner Zulassungspflicht unterliegt.
Die Zulassungspflicht der Tätigkeit der Reifenmontage entfällt häufig auch noch aus dem weiteren Grund, daß die Tätigkeit als sog. Nebenoder Hilfsbetrieb nach § 3 HwO ausgeübt wird. Keiner Zulassungspflicht unterliegen solche Betriebe, die die Reifenmontage nur als Nebenbetrieb gem. § 3 Abs. 2 HwO oder als Hilfsbetrieb gem. § 3 Abs. 3 HwO ausführen. Nebenbetriebe nach § 3 Abs. 2 HwO sind Betriebe, die mit einem anderen Betrieb (z. B. des Handels oder der Industrie) verbunden sind und deren Tätigkeit zeitlich so geringfügig ist, daß sie im Jahresdurchschnitt den Umfang eines Vollzeitarbeitsplatzes nicht übersteigt. Auch dieser Fall kann bei der Reifenmontage vorliegen. Gleiches gilt für den Fall des Hilfsbetriebes nach § 3 Abs. 3 HwO, der dem Zweck eines Hauptbetriebes dient. Er kommt in sämtlichen Tatbestandsvarianten bei der Reifenmontage in Betracht. Beschränkt sich die Reifenmontage auf den Bedarf des Hauptbetriebes (z. B. bei einem Fuhrunternehmen), ist § 3 Abs. 3 Nr. 1 HwO erfüllt. Wird die Reifenmontage auch für Dritte vorgenommen, so kann sie häufig als handwerkliche Arbeit untergeordneter Art nach § 3 Abs. 3 Nr. 2a HwO angesehen werden. Handelt es sich bei dem Hauptbetrieb um den Hersteller der Reifen, was sich nach § 4 ProdHaftG richtet und damit z. B. auch für den Importeur gilt, kann die Reifenmontage als Installationsarbeit angesehen werden, womit sie auch in diesem Fall als Hilfsbetrieb (im Sinne des § 3 Abs. 3 Nr. 2c HwO) anzusehen und deshalb nicht zulassungspflichtig ist.
Die im Gutachten von Kormann teilweise befürwortete und teilweise zumindest angedeutete teleologische Reduktion des Anwendungsbereichs des § 1 Abs. 2 S. 2 HwO bzw. des § 3 Abs. 2, 3 HwO auf solche Fälle, in denen von den konkret ausgeübten Tätigkeiten keine Gefahren für Dritte ausgehen, scheitert bereits an den Voraussetzungen einer teleologischen Reduktion. Diese verlangt eine aus dem telos der Norm abzuleitende Notwendigkeit, den Anwendungsbereich dieser Norm im Gegensatz zu ihrem durch Auslegung ermittelten Inhalt zu reduzieren. Dazu bedarf es einer eindeutigen gesetzgeberischen Wertentscheidung, die mit dem Auslegungsergebnis nicht in Einklang steht. Für § 1 Abs. 2 S. 2 HwO und § 3 Abs. 2, 3 HwO ist das Gegenteil der Fall. Der Gesetzgeber wollte gerade auch in den Fällen der sog. Gefahrgeneigtheit der gewerblichen Tätigkeit Ausnahmen von der Zulassungspflicht statuieren und hat mit diesen Regelungen eine Tätigkeit wie die Reifenmontage bewußt nicht dem Zulassungsregime der HwO unterworfen.
Ebenso können die vereinzelt in der Literatur erhobenen verfassungsrechtlichen Einwände gegen die genannten Auslegungsergebnisse allesamt nicht überzeugen. So liegt weder ein Verstoß gegen die aus den Grundrechten ableitbare Schutzpflicht des Staates noch gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG vor, wenn der Gesetzgeber durch § 1 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 – 3 HwO oder § 3 Abs. 2 und Abs. 3 HwO auch solche Tätigkeiten von der Zulassungspflicht befreit, die als sog. gefahrgeneigte Tätigkeiten einzustufen sind.
Die nähere Prüfung dieser Überlegungen hat gezeigt, daß die grundrechtliche Schutzpflicht auf der Basis der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dem Gesetzgeber einen weiten Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum beläßt. Dessen Grenzen sind erst dann überschritten, wenn entweder gar keine Schutzvorkehrungen getroffen wurden oder die getroffenen Regelungen und Maßnahmen gänzlich ungeeignet oder völlig unzutreffend sind, den gebotenen Schutz zu erreichen, oder erheblich dahinter zurückbleiben. Kunden und Verkehrsteilnehmer werden aber nicht nur durch die handwerksrechtliche Zulassungspflicht vor unsachgemäßer Reifenmontage geschützt. Im Gegenteil existiert eine ganze Palette von zivil-, straf- und öffentlichrechtlichen Regelungen und Maßnahmen, die einen effektiven Schutz der Bevölkerung bewirken. Hinzu kommt, daß es auch an Belegen für eine derartige reale und nicht nur theoretische Gefährlichkeit der Tätigkeit der Reifenmontage fehlt, aus der heraus die Pflicht zu weiterreichenden Schutzvorkehrungen abgeleitet werden könnte. Bezeichnenderweise kann auch Kormann in seinem Gutachten angesichts der unmißverständlichen ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts keinen Verstoß gegen die grundrechtliche Schutzpflicht feststellen.
Entsprechend fällt das Urteil über den Versuch aus, aus dem Gleichheitssatz eine Verpflichtung zu einer durchgehenden Gleichbehandlung aller gefahrgeneigten Tätigkeiten im Handwerksbereich abzuleiten. Weder aus dem Gedanken der Systemkonformität eines Regelungssystems noch aus einer – regulären – Prüfung des Gleichheitssatzes läßt sich ein entsprechendes Ergebnis gewinnen. Für den Fall des Minderhandwerks nach § 1 Abs. 2 S. 2 HwO zwingt im Gegenteil der Gleichheitssatz und auch das Freiheitsrecht der Berufswahlfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG zu einer Differenzierung gegenüber dem Vollhandwerk. Wenn etwa für die sachgerechte und ordnungsgemäße Ausführung einer Tätigkeit nicht annähernd die Qualifikationen erforderlich sind, wie sie für das Vollhandwerk gelten, darf der Gesetzgeber keine entsprechende subjektive Berufszulassungsschranke wie die Zulassungspflicht nach §§ 1, 7 HwO errichten. Hier zwingt auch der Gleichheitssatz zu differenzierenden Regelungen. In jedem Fall aber existieren ausreichende Differenzierungsgründe, die die Ungleichbehandlung, wie sie in § 1 Abs. 2 S. 2 HwO angelegt ist, legitimieren. Dasselbe gilt auch für die Differenzierung gegenüber Neben- und Hilfsbetrieben nach § 3 Abs. 2, 3 HwO. Aus der historisch gewachsenen Begrenzung des Handwerksrechts, das sich gerade nicht auf den Handel und die Industrie erstreckt und auch nicht erstrecken muß, ergibt sich die Notwendigkeit zur Abgrenzung der verschiedenen wirtschaftlichen Betätigungsformen, die in vielen Fällen Überschneidungen aufweisen. Dabei darf sich der Gesetzgeber auch an wirtschaftlichen Notwendigkeiten orientieren, wie sie etwa für handwerkliche Neben- und Hilfstätigkeiten im Rahmen eines Handelsbetriebes erforderlich sind. Für die daraus resultierenden Regelungen des § 3 Abs. 2, 3 HwO, die Ausnahmen von der Zulassungspflicht nach §§ 1, 7 HwO statuieren, bestehen folglich tragfähige Gründe. Die gegenteilige Annahme von Kormann stellt sich damit in der Sache nur als die (jetzt in einer verfassungsrechtlichen Verkleidung auftretende) Wiederholung der rechtspolitischen Forderung des Bundesrates im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens im Jahre 2003 dar.
Die hier dargelegten Argumente können sich nicht zuletzt auf die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stützen. Insbesondere aus dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 5.12.2005 zum Handwerksrecht vor der Novelle 2003 läßt sich sogar eine Tendenz des Verfassungsgerichts zur Annahme der Verfassungswidrigkeit der bisherigen Regelungen entnehmen. Ob Kormann in seinem Gutachten aus diesem Grund an keiner Stelle auf diese jüngste Entscheidung eingegangen ist, kann hier nicht beurteilt werden.
In Kurzform kann die Ausgangsfrage des Gutachtenauftrags, ob die gewerbliche Reifenmontage der Zulassungspflicht des § 1 HwO unterfällt, wie folgt beantwortet werden:
Die Zulassungspflicht der gewerblichen Reifenmontage hängt von der konkreten Ausübung ab. Soweit sich die konkrete Tätigkeit als Ausübung eines Minderhandwerks im Sinne des § 1 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 HwO darstellt, scheidet eine Zulassungspflicht aus. Nicht nur bei einer Beschränkung der Tätigkeit auf die Montage von Reifen „althergebrachter Bauart“, sondern auch bei der Montage neuartiger Rad-Reifen-Systeme (Runflat etc.) liegt nur ein Minderhandwerk vor, das keiner handwerksrechtlichen Zulassungspflicht unterliegt. Entsprechendes gilt für die Ausübung der Reifenmontage in Form eines (Ein-Mann-)Nebenbetriebs gem. § 3 Abs. 2 HwO sowie in Form eines Hilfsbetriebes gem. § 3 Abs. 3 HwO, die vor allem im Reifenhandel erfüllt sein können.
Der Bundesverbandes Reifenhandel und Vulkaniseur-Handwerk e.V. (BRV) geht mit Unterlassungsverpflichtungserklärungen gegen Betriebe ohne Eintragung in die Handwerksrolle vor. Er verlangt von solchen Betrieben keine Reifenmontagen sowie Arbeiten an Rad-/Reifenkombinationen mehr durchzuführen. Dabei beruft sich der BRV auf das Gesetz gegen den Unlauteren Wettbewerb (UWG).
Der BUH hält dieses Ansinnen des BRV für unberechtigt und verweist hierbei auf das Gutachten "Die gewerbliche Reifenmontage: ein zulassungspflichtiges Handwerk?" von Prof. Dr. jur. Peter Baumeister Universität Mannheim.
Betroffene bitten wir sich beim BUH zu melden, um gemeinsam gegen die Abmahnungen des BRV vorgehen zu können.
Bei Anmerkungen und Kritik freut sich der BUH über email, Post oder FAX an die Geschäftsstelle.
BUH e.V.: Artilleriestr. 6, 27283 Verden,
Tel: 04231-9566679, Fax: 04231-9566681,
mail: BUHev-Buro
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