Reisegewerbe, Minderhandwerk, Freie Tätigkeiten, Unerheblicher handwerklicher Nebenbetrieb, Handwerksähnliche Gewerbe, Zulassungsfreie Gewerbe, Ausnahmebewilligungen, Altgesellenregelung, Meisterprüfung, Probleme mit Behörden?
Vom Einzel- zum Präzedenzfall
"Wartungsarbeiten an medizinischen Dialysegeräten" werden als selbstständige Tätigkeit ohne Meisterbrief des Elektrotechniker-Handwerks ausgeübt und bewirken IHK-Zugehörigkeit. Darauf haben sich nach 7 Jahren Erörterung die örtlich zuständige Handwerkskammer und Industrie- und Handelskammer geeinigt. Die für Handwerk (Meisterbrief) und für Gesundheit (Medizinprodukte) zuständigen Ministerien auf Bundes- und auf Landesebene haben sich ebenso lange nicht geäußert - mit einer Ausnahme.
Beide Kammern betonen, dass dieser Fall ein Einzelfall und daher nicht zur Verallgemeinerung geeignet sei. Jedoch wurden im Ursprungsland des Einzelfalles und werden in einem weiteren Bundesland "Wartungsarbeiten an medizinischen Dialysegeräten" als ganz normale, IHK-zugehörige und keineswegs den Meisterbrief eines Handwerks erfordernde Tätigkeiten angesehen. Drei Handwerkskammern und drei IHK'n dürften sich kaum grundsätzlich irren.
Das gilt auch für das Bundesgesundheitsministerium: Mit e-mail vom 22. August 2000 11:42 h wird mitgeteilt, dass kein Anlass gesehen wird, bei den Anforderungen des § 4 Abs. 3 (jetzt § 2 Abs. 2 der Medizinprodukte-Betreiberverordnung) einen Meisterbrief zu verlangen. Diese Vorschrift lautet: "Medizinprodukte dürfen nur von Personen errichtet, betrieben, angewendet und in Stand gehalten werden, die dafür die erforderliche Ausbildung oder Kenntnis und Erfahrung besitzen."
Medizinprodukt aber ist - etwas salopp, aber dicht an der gesetzlichen Definition formuliert - alles, was der Erkennung, Verhütung, Überwachung, Behandlung oder Linderung von Krankheiten, Verletzungen oder Behinderungen dient. Das sind nicht nur, aber auch jene Dinge, mit denen sich die sog. Gesundheitshandwerke beschäftigen: Brillen bei den Augenoptikern, Hörgeräte bei den Hörgeräteakustikern, Prothesen bei den Orthopädietechnikern, Schuhe bei den Orthopädieschuhmachern sowie Kronen, Brücken und Gebisse bei den Zahntechnikern.
Wenn nun für Personen, die sich mit dem Medizinprodukt Dialysegerät selbstständig beschäftigen, klar ist, dass diese Gewerbetreibenden zwar die Anforderungen des Medizinproduktegesetzes (MPG), aber nicht die der Handwerksordnung (HwO) erfüllen müssen, dann gilt das - gleiches Recht für Alle (Art. 3 GG) - auch für eine selbstständige Beschäftigung mit den Objekten der Gesundheitshandwerke: Der Meisterbrief in einem Gesundheitshandwerk ist nicht mehr der einzige Zugang zur selbstständigen Ausübung dieses Berufs, sondern - wie 7 Jahre Diskussion zeigen - das MPG eröffnet einen weiteren Zugang.
Wer diesen Zugang sucht, hat nichts mit der Handwerksordnung und -kammer oder dem Wirtschaftsministerium zu tun, sondern hat sich an die für Gesundheit und Medizinprodukte zuständigen Ämter und Ministerien zu halten. Ansinnen, unter Hinweis auf die HwO Fragebögen beantworten oder Betriebsbesuche dulden zu sollen, ist das MPG entgegenzuhalten: Im vorliegenden Fall zog sich die Handwerkskammer zurück, als gebeten wurde, den in Aussicht gestellten Betriebsbesuch in rechtsmittelfähiger Form als Verwaltungsakt zu formulieren.
Freilich herrscht aus Mangel an praktischer Erfahrung noch Unsicherheit, wie sich die Gesundheitsbehörden entscheiden werden, wenn ein Optikergeselle "Wartungsarbeiten an Sehhilfen" oder ein Zahntechnikergeselle "Wartungsarbeiten an Kau- und Beißhilfen" als selbstständig ausgeübten Beruf und Betrieb anmeldet: Es fehlen noch Maßstäbe dafür, was "die erforderliche Ausbildung oder Kenntnis und Erfahrung" ist. Sicher allein erscheint, dass ein Meisterbrief eines Gesundheitshandwerks weiterhin als ausreichend für die Erfüllung der MPG-Anforderungen angesehen werden wird, aber nicht mehr als zwingend notwendig gefordert werden kann.
Handwerker werden durch das MPG keineswegs vom Gesundheitsbereich ausgeschlossen, aber Nicht-Handwerker auch nicht - ein grundrechtsfreundliches und europataugliches Werk des deutschen Gesetzgebers.
Dr. Jürgen D. Berndt, Kiel
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