Reisegewerbe, Minderhandwerk, Freie Tätigkeiten, Unerheblicher handwerklicher Nebenbetrieb, Handwerksähnliche Gewerbe, Zulassungsfreie Gewerbe, Ausnahmebewilligungen, Altgesellenregelung, Meisterprüfung, Probleme mit Behörden?
Für die Erteilung einer Ausnahmebewilligungen dürfte die Bundesverfassungsgerichtsentscheidung 1 BvR 1730/02 vom 05.12.2005 erhebliche Bedeutung haben.
Durch die Handwerksnovelle wurde eine Altgesellenregelung geschaffen, durch die Gesellen leichtere Möglichkeiten zur Existenzgründung im Handwerk bekommen. Durch diese neue Regelung sind die Voraussetzungen an Ausnahmebewilligungen deutlich niedriger zu setzen und häufig dürfte auch direkt eine Ausübungsberechtigung nach § 7b HwO passender sein, als eine Ausnahmebewilligung.
Eine Möglichkeit ohne Meisterbrief ein Handwerk ausüben zu dürfen, ist eine Ausnahmebewilligung nach § 8 Handwerksordnung:
§ 8
(1) In Ausnahmefällen ist eine Bewilligung zur Eintragung in die Handwerksrolle (Ausnahmebewilligung) zu erteilen, wenn die zur selbständigen Ausübung des von dem Antragsteller zu betreibenden Handwerks notwendigen Kenntnisse und Fertigkeiten nachgewiesen sind; dabei sind auch seine bisherigen beruflichen Erfahrungen und Tätigkeiten zu berücksichtigen. Ein Ausnahmefall liegt vor, wenn die Ablegung der Meisterprüfung zum Zeitpunkt der Antragstellung oder danach für ihn eine unzumutbare Belastung bedeuten würde. Ein Ausnahmefall liegt auch dann vor, wenn der Antragsteller eine Prüfung auf Grund einer nach § 42 Abs. 2 dieses Gesetzes oder § 46 Abs. 2, § 81 Abs. 4 oder § 95 Abs. 4 des Berufsbildungsgesetzes erlassenen Rechtsverordnung bestanden hat, die in wesentlichen fachlichen Punkten mit der Meisterprüfung für ein Gewerbe der Anlage A übereinstimmt.
(2) Die Ausnahmebewilligung kann unter Auflagen oder Bedingungen oder befristet erteilt und auf einen wesentlichen Teil der Tätigkeiten beschränkt werden, die zu einem in der Anlage A zu diesem Gesetz aufgeführten Gewerbe gehören; in diesem Fall genügt der Nachweis der hierfür erforderlichen Kenntnisse und Fertigkeiten.
(3) Die Ausnahmebewilligung wird auf Antrag des Gewerbetreibenden von der höheren Verwaltungsbehörde nach Anhörung der Handwerkskammer zu den Voraussetzungen der Absätze l und 2 und des § 1 Abs. 2 erteilt. Die Handwerkskammer kann eine Stellungnahme der fachlich zuständigen Innung oder Berufsvereinigung einholen, wenn der Antragsteller ausdrücklich zustimmt. Sie hat ihre Stellungnahme einzuholen, wenn der Antragsteller es verlangt. Die Landesregierungen werden ermächtigt, durch Rechtsverordnung zu bestimmen, daß abweichend von Satz 1 an Stelle der höheren Verwaltungsbehörde eine andere Behörde zuständig ist. Sie können diese Ermächtigung auf oberste Landesbehörden übertragen.
(4) Gegen die Entscheidung steht neben dem Antragsteller auch der Handwerkskammer der Verwaltungsrechtsweg offen; die Handwerkskammer ist beizuladen.
Schon am 17.7.1961 hat das Verfassungsgericht in seiner Entscheidung 1 BvL 44/55 vom 17.07.61 festgestellt: "Eine großzügige Praxis [bei der Erteilung von Ausnahmebewilligungen] käme jedenfalls dem Ziel der Handwerksordnung entgegen, die Schicht der leistungsfähigen selbständigen Handwerksexistenzen zu vergrößern."
Diese Forderung des Verfassungsgerichts wurde allerdings in den letzten Jahre nicht befolgt.
In den sogenannten "Leipziger Beschlüssen" hat der Bund-Länder-Ausschuß-Handwerksrecht (Veröffentlicht im Bundesanzeiger Jahrgang 52 Seite 23193 vom 13.12.2000) konkretisiert, wann Ausnahmebewilligungen zur Eintragung in die Handwerksrolle erteilt werden sollen. (Der Bund-Länder-Ausschuß-Handwerksrecht besteht aus den Referenten für Handwerksrecht in den Wirtschaftsministerien von Bund und Ländern).
Nach unserer Beobachtung werden die Leipziger Beschlüsse jedoch nur teilweise umgesetzt.
Nicht alle Gründe für Ausnahmebewilligungen werden anerkannt. (Z. B. wird als Ausnahmegrund die Beschränkung auf Spezialtätigkeiten - wenn überhaupt - nur sehr zögerlich anerkannt.) Außerdem werden Fachkundeprüfungen verlangt. Diese Fachkundeprüfungen werden in aller Regel unter Regie der Handwerkskammern abgenommen. Aufgrund vieler Berichte haben wir den Eindruck, daß Fachkundeprüfungen dazu mißbraucht werden, weiterhin den Markt zu regulieren (d.h. die Ausnahmebewilligung zu verweigern).
In manchen Regierungsbezirken und ganzen Bundesländer bestehen angeblich absprachen zwischen Handwerk und Verwaltung die sogenannten Leipziger Beschlüsse komplett nicht anzuwenden, oder auch Grundsätzlich eine Fachkundeprüfung verlangt.
"Die Ablegung einer Prüfung darf nach dem verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nur dann verlangt werden, wenn der erforderliche Nachweis nur durch solch eine Prüfung erbracht werden kann und ein Nachweis nicht auf einfachere Weise möglich ist. Eine Doppelprüfung wäre unverhältnismäßig anzusehen und daher unzulässig. Wenn eine Prüfung überhaupt zulässig wäre, darf nach Umfang und Form nicht einer Meisterprüfung gleichkommen, jedoch sind meisterliche Kenntnisse nachzuweisen."
Das Bundesverfassungsgericht nimmt gerade die Fachkundenprüfungen als Indiz dafür, dass die Ausnahmebewilligungen engherzig erteilt werden. In seiner Entscheidung 1 BvR 1730/02 vom 05.12.2005 führt es aus:
Obwohl hiernach der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit insbesondere deshalb als gewahrt angesehen wurde, weil in § 8 HwO a.F. (damals noch § 7 Abs. 2 HwO) eine Ausnahmeregelung vorhanden war, die großzügig ausgelegt werden konnte, machte die Praxis - soweit ersichtlich - von dieser Möglichkeit nur zurückhaltend Gebrauch. Insbesondere erfolgte - trotz des insoweit offenen Gesetzeswortlauts - keine Anwendung des § 8 HwO a.F. zugunsten berufserfahrener Gesellen; gefordert wurden vielmehr in etwa meistergleiche Kenntnisse und Fähigkeiten, die regelmäßig durch Sachverständige im Wege einer Vergleichsprüfung festgestellt wurden (vgl. Ehlers, in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, a.a.O., S. 163, Rn. 133). Auch mit den Beschlüssen des Bund-Länder-Ausschusses Handwerksrecht zum Vollzug der Handwerksordnung vom 21. November 2000 (so genannte Leipziger Beschlüsse; vgl. BAnz 2000, Nr. 234 vom 13. Dezember 2000, S. 23193) war keine Änderung hinsichtlich des Maßstabes und des Nachweises der erforderlichen Fertigkeiten und Kenntnisse verbunden (vgl. Teil II, Punkt 2.4).
Mit der am 01.01.1994 in Kraft getreten Änderung der Handwerksordnung Bundestagsdrucksache 12/5918 wurde auch der Nachweise der Kenntnisse und Fertigkeiten neu geregelt. In der Gesetzesbegründung heißt es:
Zu Nummer 6 (§ 8) Zu Buchstabe a
Zu Doppelbuchstabe aa
Der Zugang zum Handwerk im Wege der Ausnahmebewilligung nach § 8 soll dadurch erleichtert werden, daß Unklarheiten beim Ausnahmebewilligungsverfahren klargestellt und Verfahrensfragen präzisiert werden.
Der geltende Wortlaut von Satz 1 ("... wenn der Antragsteller.. . nachweist") wird an die Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes angepaßt, um Nachteile für den Antragsteller zu vermeiden. Klargestellt wird, daß auch im Ausnahmebewilligungsverfahren die Behörde den Sachverhalt von Amtswegen (§ 24 VerwVfG) zu ermitteln hat und sich der Beweis- mittel bedient, die sie für erforderlich hält.
Klargestellt wird zugleich, daß entsprechend der Rechtsprechung beim Nachweis der Fertigkeiten und Kenntnisse auch die bisherigen beruflichen Erfahrungen und Tätigkeiten des Antragstellers zu berücksichtigen sind und die Ablegung einer "Eignungsprüfung" nur dann verlangt werden darf, wenn der erforderliche Nachweis nur durch eine solche Prüfung und nicht auf einfachere Weise erbracht werden kann.
Dies entspricht dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Durch die Änderung der Vorschrift entsprechend der verfassungsrechtlichen Rechtslage soll die Praxis stärker dazu angehalten werden, die bisherigen beruflichen Erfahrungen und Kenntnisse zu berücksichtigen und nicht - wie vielfach - bereits von vornherein eine "Eignungsprüfung" zu verlangen.
Zu Doppelbuchstabe bb
Ob ein Ausnahmefall anzunehmen ist, ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu entscheiden. Dabei wird nach derzeitiger Praxis der berufliche Werdegang und vor allem der Grund berücksichtigt, warum die Meisterprüfung bisher nicht abgelegt worden ist. Hat er dies "zu vertreten", wird in der Praxis ein Ausnahmefall verneint.
Dies erscheint zu weitgehend. Dem Antragsteller soll ermöglicht werden, seine frühere Berufsentscheidung zugunsten des Handwerks zu revidieren. Es soll künftig darauf abgestellt werden, oh seit Antragstellung Gründe eingetreten sind, die eine besondere aus dem Rahmen fallende Belastung darstellen und dem Antragsteller die Ablegung der Meisterprüfung unzumutbar machen.
Zu Buchstabe b
Durch Änderung von Absatz 3 Satz 1 wird klargestellt, daß im Ausnahmebewilligungsverfahren die zuständige Verwaltungsbehörde auch zu entscheiden hat, ob die Tätigkeit, für die eine Ausnahmebewilligung beantragt ist, handwerksmäßig betrieben wird und ob sie vollständig oder in wesentlichen Tätigkeiten ein Gewerbe umfaßt, das in der Anlage A aufgeführt ist (§ 1 Abs. 2).
Zugleich soll entsprechend den Erfordernissen des Bundesdatenschutzgesetzes klargestellt werden, daß die Handwerkskammer zur Vorbereitung ihrer Stellungnahme im Ausnahmebewilligungsverfahren Innungen oder andere Berufsvereinigungen nur dann beteiligen und um Stellungnahme ersuchen darf. wenn der Antragsteller ausdrücklich zugestimmt hat. Nach vorliegenden Informationen ist in der Praxis vielfach nicht bekannt, daß im Hinblick auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung die Zustimmung des Antragstellers zur Einschaltung der Innung oder einer anderen Berufsvereinigung erforderlich ist. Hieraus können für den Antragsteller Nachteile entstehen.
Wir empfehlen - zumindest wenn einige Jahre Berufserfahrung als Geselle nachgewiesen werden können - sich nicht auf eine Fachkundeprüfung einzulassen. Man muß davon ausgehen, daß die Handwerkskammer die Erteilung einer Ausnahmebewilligung verhindern will, wenn Sie eine Fachkundeprüfung verlangt. Gleich wie gut man sein Fach beherrscht, werden die Prüfer dann einen Grund finden, den Bewerber durch die Prüfung fallen zu lassen. Später wird die Handwerkskammer dann argumentieren, daß man durch diese nicht Bestehen der Fachkundeprüfung nachgewiesen hat, daß man keine meisterlichen Fähigkeiten besitzt.
Wenn man die BVerfGE 1 BvL 44/55 vom 17.7.1961 zugrunde legt, ist offensichtlich, daß das Verfassungsgericht davon ausgeht, daß von meisterlichen Fähigkeiten ausgegangen werden muß, wenn der Antragsteller den Gesellenbrief hat und drei bis fünf Jahre Berufserfahrung in dem Beruf nachweisen kann. In der Argumentationskette, in der das Verfassungsgericht behauptet, daß der Meisterzwang keine unverhältnismäßige Beschränkung der Berufsfreiheit war, heißt es: "Es werden keine außergewöhnlichen Leistungen verlangt; vielmehr wird lediglich gefordert, daß der Berufsbewerber imstande ist, die gebräuchlichen Arbeiten selbständig nach den allgemeinen handwerklichen Grundsätzen werkgerecht auszuführen."
Und weiter:
Der besondere Ausbildungsgang und die Prüfung beschweren die Berufsbewerber im typischen Fall nicht übermäßig. Mit dem grundsätzlichen Erfordernis des Bestehens der Gesellenprüfung nach einer Lehrzeit von drei bis vier Jahren und einer mindestens drei- bis fünfjährigen Gesellenzeit (§§ 30, 32, 44) hat der Gesetzgeber den ohnehin notwendigen Ausbildungsgang lediglich in einer durchschnittlich angemessenen Weise formalisiert. Ausbildungsziel der regelmäßig mit 18 Jahren abgeschlossenen Lehrzeit ist es, daß der Lehrling die in seinem Handwerk gebräuchlichen Handgriffe und Fertigkeiten mit genügender Sicherheit verrichten kann und die notwendigen Fachkenntnissen über den Wert, die Beschaffenheit, die Behandlung und Verwendung der Roh und Hilfsstoffe besitzt (§ 32 Abs. 2). Von diesem Leistungsstand aus bedarf der Geselle noch einer erheblichen Berufserfahrung, um die in seinem Handwerk anfallenden Arbeiten "meisterhaft" in dem oben dargestellten Sinne verrichten zu können. Eine drei - bis fünfjährige Gesellenzeit, nach der also der gesamte Ausbildungsgang bereits im Alter von 22 bis 23 Jahren abgeschlossen werden kann, ist nicht unangemessen lang.
Das Verfassungsgericht war also schon damals der Auffassung, daß der Gesellenbrief in Verbindung mit einer drei- bis fünfjährigen Berufserfahrung zu "meisterhaften" Fähigkeiten im obigen Sinn führen. Dies entspricht auch der damaligen Praxis bei der Erteilung von Ausnahmebewilligungen, daß nur wenn konkrete Zweifel an den meisterlichen Fähigkeiten eines Bewerbers für eine Ausnahmebewilligung bestanden, in einzelnen Fällen eine Fachkundeprüfung verlangt wurde.
Dem folgend führt das Verfassungsgericht aus:
Ausnahmefälle sind entsprechend den oben dargelegten Grundsätzen mindestens dann anzunehmen, wenn es eine übermäßige, nicht zumutbare Belastung darstellen würde, einen Berufsbewerber auf den Nachweis seiner fachlichen Befähigung durch Ablegung der Meisterprüfung zu verweisen. Wann das der Fall ist, läßt sich nur unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles beurteilen. Als ein besonders erschwerendes Moment kann es beispielsweise angesehen werden, daß ein Berufsbewerber für den Unterhalt von Angehörigen aufkommen muß und deswegen nicht imstande ist, den Zeit- und Geldaufwand für den Besuch von Meisterkursen zu tragen. Auch das vorgerückte Alter eines Berufsanwärters kann einen Grund bilden, von der Prüfung abzusehen, zumal dann, wenn er einen anderen Ausbildungsgang durchlaufen hat, als ihn die Handwerksordnung vorsieht. Nur eine Verwaltungspraxis, die bei Anwendung des § 7 Abs. 2 derartige, die Ablehnung der Meisterprüfung besonders erschwerende Umstände hinreichend berücksichtigt, ist an Art. 12 Abs. 1 GG orientiert und wird seinem Schutzgedanken gerecht.
Ob es dem Ziel und Zweck des § 7 Abs. 2 entspräche, den Kreis der Ausnahmefälle noch weiter zu ziehen, als dies nach dem vorstehend Dargelegten verfassungsrechtlich geboten ist, kann hier dahinstehen. Jedenfalls deutet die Entstehungsgeschichte der Handwerksordnung darauf hin, daß von der Möglichkeit der Erteilung einer Ausnahmebewilligung nicht engherzig Gebrauch gemacht werden sollte. Das Vorliegen eines Ausnahmefalles sollte nämlich danach nicht nur bei Personen anerkannt werden, die aus besonderen, namentlich durch die Verhältnisse der Kriegs- und Nachkriegszeit bedingten Gründen verhindert waren, die Meisterprüfung abzulegen; vielmehr sollten für die Erteilung einer Ausnahmebewilligung auch Berufsbewerber in Frage kommen, "die als Unselbständige im Handwerk oder in der Industrie in entsprechenden verantwortlichen Stellungen tätig gewesen sind" oder "die einen anderen Ausbildungsgang als Lehrzeit, Gesellenprüfung, Gesellenzeit hinter sich gebracht haben". Hiermit hat der Gesetzgeber einen Ausweg für alle Berufsbewerber geöffnet, die die notwendige fachliche Befähigung besitzen, aber - die Meisterprüfung nicht abgelegt haben. Somit stellt diese nicht einen Selbstzweck oder ein Mittel zum Schutz vor unerwünschter Konkurrenz, sondern den Weg dar, auf dem die qualitative Auslese der Handwerker im Regelfalle vorgenommen werden soll.
Eine großzügige Praxis käme jedenfalls dem Ziele der Handwerksordnung entgegen, die Schicht leistungsfähiger selbständiger Handwerkerexistenzen zu vergrößern. Dem Bestreben des Gesetzes, den Leistungsstand und die Leistungsfähigkeit des Handwerks zu erhalten und zu fördern, läuft eine weite Auslegung des Begriffs der Ausnahmefälle nicht zuwider, weil ein Berufsbewerber in jedem Falle die zur selbständigen Ausübung seines Handwerks notwendigen Kenntnisse und Fertigkeiten nachweisen muß.
(Damals war die Ausnahmebewilligung in § 7 Abs. 2 geregelt)
Anwälte, mit denen wir immer wieder zusammen arbeiten, berichten, daß Regierungspräsidien, Bezirksregierungen und Handwerkskammer Ausnahmebewilligung häufig erteilen, wenn der Mandant droht eine Klage bis zum Verfassungsgericht gegen die Beschränkung der freien Berufsausübung des Meisterzwangs (Artikel 12 Grundgesetz) zu führen. In solchen Fällen ist auch die Fachkundeprüfung nur eine Papierformalie.
Seit der Verabschiedung der sogenannten Leipziger Beschlüsse am 21.12.2000 hat sich an der Praxis der Erteilung von Ausnahmebewilligungen fast nichts geändert:7. Wie viele Ausnahmebewilligungen nach § 8 Handwerksordnung sind in den vergangenen fünf Jahren, aufgeteilt nach Jahr und Bundesland, erteilt worden?
Für den Gesamtzeitraum der vergangenen fünf Jahre liegen der Bundesregierung keine Angaben vor.
Die Jahre 2000 und 2001 sind anhand den Bundesländern übersandter Statistiken ausgewertet worden. Es lagen aus 14 Bundesländern Daten vor. Danach wurden in 2000 insgesamt rund 15 000 Anträge auf Ausnahmebewilligung gestellt und rund 7 500 Bewilligungen erteilt. In 2001 wurden rund 17 300 Anträge gestellt und rund 8 700 Bewilligungen erteilt.
Nach unserer Einschätzung wurden insbesondere kaum mehr unbefristete Ausnahmebewilligungen erteilt.
Auch das mitte Juni 2003 noch keine Zahlen für 2002 vorliegen zeigt, daß die versprochene Kontrolle, daß Ausnahmebewilligungen nicht mehr so engherzig erteilt werden, ausgeblieben ist.
§ 9
Das Bundesministerium für Wirtschaft wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates zur Durchführung von Richtlinien der Europäischen Gemeinschaft über die Niederlassungsfreiheit und den freien Dienstleistungsverkehr und zur Durchführung des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum zu bestimmen, unter welchen Voraussetzungen Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft oder eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum eine Ausnahmebewilligung zur Eintragung in die Handwerksrolle außer in den Fällen des § 8 Abs. 1 zu erteilen ist. § 8 Abs. 2 bis 4 findet Anwendung.
Nach § 9 HwO wird in die Handwerksrolle wird eingetragen, wer die Voraussetzungen der EWG/EWR-Handwerk-Verordnung erfüllt. Wichtig bei der EWG/EWR-Handwerker-Verordnung ist, daß die Erfahrungen in einem anderen EU-Staat erworben werden müssen. Die Einschränkung auf andere EU-Staaten stellt eine Diskriminierung von in Deutschland erworbenen Erfahrungen dar (z.B. als Betriebsleiter, als Führungskraft in der Industrie, im Reisegewerbe oder mit einem unerheblichen handwerklichen Nebenbetrieb). Der Österreichische Verfassungsgerichtshof hat entsprechende österreichische Bestimmung als Inländerdiskriminierung bezeichnet und aufgehoben (Az G 42/99, V 18/99 - 11 vom 09.12.99).
Sachliche Gründe für die Differenzierung zwischen einschlägigen fachlichen Tätigkeiten im Ausland und im Inland gibt es dem Verfassungsgerichtshof zu folge nicht. Deswegen verstößt diese Differenzierung gegen den Gleichheitsgrundsatz. Im Gegenteil die im Inland erworbenen Fähigkeiten müßten höher bewertet werden, weil man durch diese mit den Gepflogenheiten des regionalen Marktes Erfahrungen erworben hat.
Das deutsche Verfassungsgericht hat bisher diese Frage nicht geprüft. Durch den Hinweis des Verfassungsgerichts, dass der Beschwerdeführer des Verfahrens 1 BvR 608/99 vom 31.03.2000 nicht mit der Inländerdiskriminierung argumentiert hat und diese Frage deswegen dort nicht zu prüfen war, hat es angedeutet, dass es diese Differenzierung zwischen im Aus- oder Inland erworbenen Erfahrungen für verfassungswidrig hält.
Bei Anmerkungen und Kritik freut sich der BUH über email, Post oder FAX an die Geschäftsstelle.
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