Reisegewerbe, Minderhandwerk, Freie Tätigkeiten, Unerheblicher handwerklicher Nebenbetrieb, Handwerksähnliche Gewerbe, Zulassungsfreie Gewerbe, Ausnahmebewilligungen, Altgesellenregelung, Meisterprüfung, Probleme mit Behörden?
Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung 1 BvR 1730/02 vom 05.12.2005 festgestellt, dass die bisherige Praxis bei der Erteilung von Ausnahmebewilligungen rechtswidrig war, weil Ausnahmebewilligungen zu engherzig erteilt wurden.
Nach dieser Entscheidung sollte die Chance eine Ausnahmebewilligung zu erhalten sollte erheblich gestiegen sein.
Das Bundesverfassungsgericht hat in der Entscheidung festgestellt:
"Die geschilderten Bedenken gegen die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in die Freiheit der Berufswahl - über die zu entscheiden die Kammer nicht berufen ist - bekräftigen die Notwendigkeit, die Ausnahmeregelung des § 8 HwO a.F. mit Blick auf Bedeutung und Tragweite des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 12 Abs. 1 GG großzügig anzuwenden. Die Verwaltungspraxis hat dem jedoch nicht hinreichend Rechnung getragen."
Das Verfassungsgericht ist also der Auffassung, dass Ausnahmebewilligungen großzügig erteilt werden müssen und das diese von der Verwaltung in der Vergangenheit nicht großzügig erteilt wurden. Die Verwaltung - und auch die häufig dafür zuständigen Handwerkskammern sind verpflichtet nun endlich die Ausnahmebewilligungen großzügig zu erteilen. Wenn Ausnahmebewilligungen nicht erteilt werden können sich die Behörden und Handwerkskammern nicht auf ältere Rechtsprechung berufen. Das Verfassungsgericht hat nämlich auf festgestellt, dass der Beschwerdeführer wohl eine Ausnahmebewilligung hätte erhalten müssen, dass es ihm aber nicht zuzumuten war diesen Anspruch gerichtlich durchzusetzen. Es führ aus:
"Dem Beschwerdeführer war es jedoch nicht zuzumuten, die von ihm beantragte Ausnahmebewilligung nach § 8 HwO a.F. durch gerichtliche Anfechtung der ablehnenden Entscheidung weiterzuverfolgen. Dies wäre angesichts auch der aktuellen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte (vgl. BVerwG, NVwZ-RR 1997, S. 350; GewArch 1998, S. 470; NVwZ-RR 1999, S. 498 f.) nicht Erfolg versprechend gewesen."
Wenn die Behörden und Handwerkskammern nun verfassungsgemäße Anforderungen bei der Erteilung von Ausnahmebewilligungen anlegen müssten Ausnahmebewilligungen nun deutlich häufiger erteilt werden. Wir empfehlen deswegen die Behörden in entsprechenden Verfahren auf diese Entscheidung hinzuweisen.
Teilweise wird auch die Erteilung einer Ausnahmebewilligung von dem Bestehen eine Fachkundeprüfung bei der Handwerkskammer abhängig gemacht.
Wie geht man bei solchen Fragen weiter vor?
Das Verfassungsgericht begründet seine Entscheidung damit, dass "die Praxis - soweit ersichtlich - von dieser Möglichkeit nur zurückhaltend Gebrauch" gemacht hat Ausnahmebewilligung zu erteilen. Als Indiz dafür führt das Verfassungsgericht an:
"Insbesondere erfolgte - trotz des insoweit offenen Gesetzeswortlauts - keine Anwendung des § 8 HwO a.F. zugunsten berufserfahrener Gesellen; gefordert wurden vielmehr in etwa meistergleiche Kenntnisse und Fähigkeiten, die regelmäßig durch Sachverständige im Wege einer Vergleichsprüfung festgestellt wurden (vgl. Ehlers, in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, a.a.O., S. 163, Rn. 133)."
Offensichtlich ist das Verfassungsgericht der Auffassung, dass berufserfahrene Gesellen grundsätzlich auch ohne eine Prüfung vor einem Sachverständigen eine Ausnahmebewilligung erhalten müssen.
Ob die Verwaltung sich nun an die Vorgaben des Verfassungsgerichts hält, bleibt abzuwarten.
Wir raten jedenfalls in der Regel von der Teilnahme bei Fachkundeprüfungen ab. Nach der Verfassungsgerichtsentscheidung dürfte die Forderung nach einer Fachkundeprüfung grundsätzlich rechtswidrig sein. Unser Eindruck ist, daß diese zu total überhöhten Gebühren angeboten werden - Teilweise wird auch von den Kammern dringend geraten vorher einen teueren Vorbereitungskurs bei der Handwerkskammer zu besuchen. Dies erscheint uns als Geldmacherei
Bei diesen Fachkundeprüfungen haben wir den Eindruck, daß sie - wie auch die Meisterprüfungen - zur Marktregulierung mißbraucht werden.
Wer bei einer Fachkundeprüfung durchgefallen ist, bekommt bei weiteren Anträgen auf Ausnahmebewilligung vorgehalten, er hätte ja schon in der Fachkundeprüfung nachgewiesen, daß er die notwendigen Fähigkeiten und Fertigkeiten nicht habe. Es wird also später schwieriger eine Ausnahmebewilligung zu erhalten und möglicherweise gerichtlich durchzusetzen.
1) Prüfung betriebswirtschaftlicher Kenntnisse ist verfassungswidrig weil unverhältnismäßig und ein Verstoß gegen Gleichbehandlung zum Einzelhandel betriebswirtschaftliche Kenntnisse dürfen nicht verlangt werden. In Industrie und Handel werden keine Befähigungsnachweise für betriebswirtschaftliche Kenntnisse gefordert. Die tatsächlichen Anforderungen an die betriebswirtschaftlichen Kenntnisse dürften in Industrie und Handel in der Regel sogar höher sein als im Handwerk. Deswegen läßt sich diese Ungleichbehandlung von Gesellen anderer Wirtschaftsbereiche durch nichts rechtfertigen.
Die genehmigenden Behörden (Bezirksregierung, Regierungspräsidium o.ä.) bewerten Gleiches ungleich und verstoßen damit gegen das Gleichheitsgebot des Grundgesetzes (Artikel 3).
Früher wurde für den Einzelhandel ein Befähigungsnachweis über betriebswirtschaftlichen und kaufmännischen Kenntnisse verlang.
Dieses Erfordernis hat das Bundesverfassungsgericht ( BVerfGE 19, 330 (Sachkundenachweis) und BVerfGE 34,71) als verfassungswidrig aufgehoben.
Schon deswegen wäre eine Prüfung der betriebswirtschaftliche Kenntnisse und Fähigkeiten eine unverhältnismäßige Belastung, weil die Forderung eines Befähigungsnachweises für andere Wirtschaftsbereiche (Handel und Industrie) als verfassungswidrig abgelehnt wurde.
2) Verstoß gegen Gleichbehandlungsgebot weil in anderen Regionen die betriebswirtschaftlichen und kaufmännischen Kenntnisse grundsätzlich als gegeben angenommen werden.
In anderen Regionen wird bei Ausnahmebewilligungen nach § 8 HwO grundsätzlich davon ausgegangen, daß der Antragsteller über betriebswirtschaftlichen und kaufmännischen Kenntnisse verfügt. So z. B. im Bereich des Regierungspräsidiums Kassel (Hessen).
Bei Ausnahmebewilligungen nach § 9 HwO sind jegliche zusätzlichen Prüfungen (über den Nachweis der bisherigen selbständigen Tätigkeit hinaus) nicht vorgesehen. Darüber hinaus gehende Prüfungen sind diskriminierend und stellen eine übermäßige Belastung da.
3) Die Unabhängigkeit des Fachprüfers ist nicht gegeben.
Bei einem Fachprüfer der Handwerkskammer ist die notwendige Unabhängigkeit nicht gegeben. Die Handwerkskammern sind gesetzlich zur Vertretung der Interessen ihrer Mitglieder verpflichtet. Ein weiterer Konkurrent (wie Ihr Unternehme) ist in der Regel nicht im Interesse von den bisherigen Marktteilnehmern. Die selbe Befangenheit bestände, bei Prüfern aus dem Meisterprüfungsausschuß.
4) Die Notwendigkeit des Nachweises von betriebswirtschaftlichen und kaufmännischen Kenntnissen muß auch vor dem Hintergrund der - insbesondere in diesem Bereich - fragwürdigen Meisterausbildung abgelehnt werden.
Die Zeitschrift "Handwerk" berichtete in ihrer Ausgabe Nr. 3 März 2002 über eine Studie der Handwerkskammern Dortmund, Düsseldorf und Münster über die Meisterausbildung.
In dem Bericht heißt es:
"Ein besonderes Problem bei der Meisterausbildung ist, dass die ganze wirtschaftliche Seite ausgeschlossen bleibt. Auf die Selbständigkeit sei man da natürlich schlecht vorbereitet. Hauptpunkt der Kritik am kaufmännischen Teil der Ausbildung ist denn auch die eingeschränkte Anwendbarkeit für die Praxis: moderne Entwicklungen in der Ökonomie und Betriebsführung fänden keine Berücksichtigung, das Gleiche gelte für die Arbeitsteilung zwischen Unternehmer und Steuerberater oder Behörden, die EDV-Ausbildung sei nicht zeitgemäß. Zusammenfassend gesagt: Konkrete Angaben zur Betriebsgründung fehlen. ...
Ein anderer gravierender Mangel: das Verkaufen kommt zu kurz. Es fehlten Grundkenntnisse in betrieblichem Marketing, und auch die heutzutage stetig an Bedeutung gewinnenden Themen Öffentlichkeitsarbeit, Selbstdarstellung und Rhetorik bleiben außen vor."
Wenn Absolventen von Meisterkursen massive Kritik an Inhalten der vermittelten betriebswirtschaftlichen und kaufmännischen Kenntnissen äußern, wäre eine Prüfung solcher Kenntnisse bei einer Ausnahmebewilligung bei weitem unverhältnismäßig.
Grundsätzlich raten wir von der Teilnahme an Fachkundeprüfungen ab. Diese sind höchstens in Einzelfällen gerechtfertigt. Immer wieder mußten wir feststellen, daß Antragsteller aufgrund einem nicht Bestehen einer solchen Fachprüfung auch bei späteren Anträgen abgelehnt wurden mit der Begründung, der Antragsteller habe ja schon mal nachgewiesen, daß er die verlangte Qualifikation nicht habe.
Der Ausgang derartiger Prüfung ist immer offen und stark von den Interessen des Prüfers abhängig.
Bei dem Nachweis von Fachpraktischen und Fachtheoretischen Kenntnissen dürfen Ihnen keine höheren Hürden auferlegt werden, als EU-Bürgern mit Erfahrungen in anderen EU-Staaten. D. h. mit Gesellenprüfung müssen drei Jahre Selbständigkeit zum Beispiel mit einem unerheblichen handwerklichen Nebenbetrieb oder im Reisegewerbe, oder drei Jahre Erfahrung in Leitender Stellung in Abhängiger Beschäftigung ausreichen um Ihnen eine Ausnahmebewilligung zu erteilen. Hierzu mehr Infos unter Ausnahmebewilligungen nach § 9 Handwerksordnung.
Hierbei rate wir von einer Klage auf Erteilung einer Ausnahmebewilligung ab.
Zur Zeit sind mehrere Verfassungsbeschwerde beim Verfassungsgericht anhängig, bei denen die Beschwerdeführer in einer Feststellungsklage geklärt haben wollen, daß sie verschieden Handwerke bzw. Tätigkeiten (z. B. Spenglerhandwerk, Zahntechnikerhandwerk, Gas- und Wasserinstallationen) ohne Meisterbrief und ohne Eintragung in die Handwerksrolle ausführen dürfen. Das Verfassungsgericht hat verschieden Verbände zu Stellungnahmen zu diesen Verfassungsbeschwerden aufgefordert, was andeutet, daß die Verfassungsbeschwerden wohl zur Entscheidung angenommen werden. Da das Verfassungsgericht in den letzten Jahren dem Grundrecht auf freie Berufsausübung eine sehr hohe Bedeutung beigemessen hat und es in einer neuen Entscheidung von der Unbestimmtheit des Meisterzwangs (so die Wortwahl des Gerichts) schreibt sehe ich sehr große Chancen, daß diesen Verfassungsbeschwerden statt gegeben wird.
Mit der Entscheidung 1 BvR 2129/02 hat das Bundesverfassungsgericht am 07.04.03 entschieden, daß Verwaltungsgerichte auch im Eilverfahren vorläufigen Rechtsschutz bei derartigen Feststellungsbegehren gewähren müssen. Offensichtlich war das Verfassungsgericht auch der Auffassung, daß das Begehren der Feststellung, daß handwerkliche Tätigkeiten auch ohne Meisterbrief und Eintragung in die Handwerksrolle ausgeführt werden dürfen nicht offensichtlich unbegründet ist. Ansonsten hätte es diese Verfassungsbeschwerde abweisen müssen.
Mit diesem Weg, zum einen beim Verwaltungsgericht die Feststellung zu beantragen, daß die gewünschten Tätigkeiten ohne Meisterbrief und ohne Eintragung in die Handwerksrolle ausgeübt werden dürfen und zum anderen diese Feststellung vorläufig im Eilverfahren zu erstreiten, um sofort mit den Arbeiten anfangen zu können, ist nach meinem Dafürhalten ein effektiver Weg gewiesen, wie Sie ihr Grundrecht auf freie Berufsausübung schnell verwirklichen können, selbst wenn die Bezirksregierung ihnen dieses Grundrecht weiter mit unzumutbaren Forderungen verwehren sollte.
Wir empfehle dies zu gegebener Zeit auch mit einem auf Handwerksrecht spezialisierten Anwalt zu besprechen.
Sofern Sie eine Ausnahmebewilligung in in Bundesländern beantragt haben, in denen die Handwerkskammern hierfür die Zuständigkeit übertragen bekommen haben, und diese nicht erteilt wird, sollten Sie auch dagegen mit einer Klage vorgehen, daß die Handwerkskammer von der Landesregierung mit der Erteilung von Ausnahmebewilligungen betraut wurden. Dazu war die Landesregierung nicht berechtigt. Handwerkskammern sind zwar Körperschaften öffentlichen Rechts, aber Behörden sind die Kammern deswegen noch lange nicht. Aber nur Behörden dürfen diese Aufgabe nach § 8 Handwerksordnung die Erteilung von Ausnahmebewilligungen übertragen bekommen.
Bei Anmerkungen und Kritik freut sich der BUH über email, Post oder FAX an die Geschäftsstelle.
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