Reisegewerbe, Minderhandwerk, Freie Tätigkeiten, Unerheblicher handwerklicher Nebenbetrieb, Handwerksähnliche Gewerbe, Zulassungsfreie Gewerbe, Ausnahmebewilligungen, Altgesellenregelung, Meisterprüfung, Probleme mit Behörden?
Mit dem Handwerkskompromiss vom Dezember 2003 hat der Gesetzgeber eine Altgesellenregelung zur leichteren Selbständigkeit von Gesellen mit Berufserfahrung beschlossen.
Die gesetzliche Regelung hierfür lautet:
neuer § 7b HwO
(1) Eine Ausübungsberechtigung für Gewerbe der Anlage A, ausgenommen in den Fällen der Nummern 12 und 33 bis 37 der Anlage A, erhält, wer
(1a) Die für die selbständige Handwerksausübung erforderlichen betriebswirtschaftlichen, kaufmännischen und rechtlichen Kenntnisse gelten in der Regel durch die Berufserfahrung nach Absatz 1 Nr. 2 als nachgewiesen. Soweit dies nicht der Fall ist, sind die erforderlichen Kenntnisse durch Teilnahme an Lehrgängen oder auf sonstige Weise nachzuweisen.
- eine Gesellenprüfung in dem zu betreibenden Gewerbe der Anlage A oder in einem mit diesem verwandten Gewerbe der Anlage A oder eine Abschlussprüfung in einem dem zu betreibenden Gewerbe entsprechenden anerkannten Ausbildungsberuf bestanden hat, und
- in dem zu betreibenden zulassungspflichtigen Handwerk oder in einem mit diesem verwandten zulassungspflichtigen Handwerk oder in einem dem zu betreibenden zulassungspflichtigen Handwerk entsprechenden Beruf eine Tätigkeit von insgesamt sechs Jahren ausgeübt hat, davon insgesamt vier Jahre in leitender Stellung. Eine leitende Stellung ist dann anzunehmen, wenn dem Gesellen eigenverantwortliche Entscheidungsbefugnisse in einem Betrieb oder in einem wesentlichen Betriebsteil übertragen worden sind. Der Nachweis hierüber kann durch Arbeitszeugnisse, Stellenbeschreibungen oder in anderer Weise erbracht werden.
- Die ausgeübte Tätigkeit muss zumindest eine wesentliche Tätigkeit eines zulassungspflichtigen Handwerks umfasst haben, für das die Ausübungsberechtigung beantragt wurde.
(2) Die Ausübungsberechtigung wird auf Antrag des Gewerbetreibenden von der höheren Verwaltungsbehörde nach Anhörung der Handwerkskammer zu den Voraussetzungen des Absatzes 1 erteilt. Im übrigen gilt § 8 Abs. 3 Satz 2 bis 5 und Abs. 4 entsprechend.
Der Bund-Länder-Ausschuss Handwerksrecht hat zur Auslegung und Anwendung von § 7b der Handwerksordnung Kriterien entwickelt. Angeblich haben sich die Länder auf diesen Vorschlag geeinigt. Gerade gegenüber den Handwerkskammern, die in vielen Bundesländern über die Ausübungsberechtigungen entscheiden, kann mit diesem Papier argumentiert werden. Wenn die Kammern trotzdem keine Ausübungsberechtigungen erteilen wollen, sollten Sie sich nicht scheuen sich bei der Landesregierung über die Kammer zu beschweren.
Nach unserer Erfahrung unternehmen die Kammern sehr erfinderisch bei der Argumentation, um keine Ausübungsberechtigung erteilen zu müssen.
Der Baden-Württembergische Handwerkstag kommentierte die Altgesellenregelung folgendermaßen:
"Eine solche leitende Stellung ist bereits dann anzunehmen, wenn dem Gesellen eigenverantwortliche Entscheidungsbefugnisse übertragen worden waren. Es wird vermutlich davon auszugehen sein, dass die Gerichte hier die Messlatte nicht sehr hoch anlegen werden."
Die Mühlen der Verwaltungsgerichte mahlen sehr langsam. Deswegen liegen bisher nicht viele Urteile zur Altgesellenregelung vor.
Ausübungsberechtigungen können für Handwerk der Anlage A der HwO erteilt werden. Ausgenommen sind die Gesundheitshandwerk (Augenoptiker, Hörgeräteakustiker, Orthopädietechniker, Orthopädieschuhmacher, Zahntechniker) und die Schornsteinfeger.
In zulassungsfreien Handwerken und handwerksähnlichen Gewerben besteht Gewerbefreiheit, deswegen gibt es dort keine Ausübungsberechtigung.
Mittlerweile gibt es eine Gerichtsentscheidung, in der behauptet wird, dass die Lehrlingszeit nicht als Tätigkeit im Beruf gewertet werden braucht.
Der Gesetzestext ist jedoch aus unserer Sicht klar: Die Ausübungsberechtigung erhält, wer in dem "Beruf eine Tätigkeit von insgesamt sechs Jahren ausgeübt hat, davon insgesamt vier Jahre in leitender Stellung". Es sollte klar sein, dass ein Lehrling auch während der Lehrzeit Tätigkeiten aus dem Beruf ausübt - Ansonsten würde er ja den Beruf nicht erlernen und der Ausbildungsbetrieb würde den Lehrvertrag verletzten.
Mit der Sechsjahresregelung sollte ja die Inländerdiskriminierung abgebaut werden. Bürger aus anderen EU-Staaten benötigen (ohne Ausbildung auch nur sechs Jahre Selbständigkeit oder Leitende Stellung in einem anderen EU-Staat, um sich hier selbstständig machen zu dürfen. (Mit Gesellenausbildung werden sogar nur drei Jahre leitende Stellung benötigt).
Da zumindest ein Gericht diese Frage bisher anders Entschieden hat, müsste man sich wohl auf einen Prozess bis vor das Verfassungsgericht einrichten, um durchzusetzen, dass die Lehrlingszeit als Tätigkeit im Beruf gewertet wird.
Die Schwierigkeit dürfte in Zukunft in der Tat darin bestehen, eine leitende Stellung - also "eigenverantwortliche Entscheidungsbefugnisse" nachzuweisen. Wie das gemacht werden kann, muss erst die Praxis erweisen.
Wenn die Kammern oder Behörden die eigenverantwortliche Stellung nicht anerkennen wollen, sollten Betroffene sich bei den Bundestagsabgeordneten ihres Wahlkreises beschweren. Ziel der Regelung war den Marktzugang zu erleichtern, wenn dies nicht erreicht wurde, müssen das diejenigen bald erfahren, die mehr Existenzgründungen und mehr Beschäftigung wollten.
Eine leitende Stellung muss nicht auch betriebswirtschaftliche, kaufmännische und rechtliche Betriebsbelange umfassen. Zu diesem Ergebnis kommt das Verwaltungsgericht Köln in 1 K 2947/05:
Daher kann § 7b Abs. 1 Nr. 2 HwO nur so verstanden werden, dass eine "leitende Stellung" nicht notwendig betriebswirtschaftliche, kaufmännische und rechtliche Betriebsbelange umfassen muss. Diese Kenntnisse können auch auf anderem Wege erworben werden.
Der Nachweis der "erforderlichen betriebswirtschaftlichen, kaufmännischen und rechtlichen Kenntnisse gelten in der Regel durch die Berufserfahrung als nachgewiesen". So steht es im Gesetz! Weitere Anforderungen an den Nachweis betriebswirtschaftlichen, kaufmännischen und rechtlichen Kenntnisse halten wir für verfassungswidrig!
In der Ergebnisniederschrift der Gewerbedezernentenbesprechung Handwerksrecht vom 18.05.2004 des Landes NRW heißt es zu der Frage: "In welchen Fällen muss jemand den sog. Teil III [betriebswirtschaftliche Kenntnisse] gesondert nachweisen?":
"Ergebnis: Nur wenn im Einzelfall Zweifel am Vorliegen der erforderlichen kaufmännischen, Betriebswirtschaftlichen und rechtlichen Kenntnisse besteht. Die kann z.B. der Fall sein, wenn dem Antragsteller ausdrücklich nur die ausschließliche Wahrnehmung technischer Aufgaben bescheinigt worden ist."
Zur Frage: "Ist die Vermutung des Vorliegens der Kenntnisse schon widerlegt, wenn jemand durch Teil III der Meisterprüfung gefallen ist?":
"Ergebnis: Nein; allein der Umstand, dass Teil III der Meisterprüfung nicht bestanden worden istr, reicht hierfür grundsätzlich nicht aus, denn das Nichtbestehen des Teils III der Meisterprüfung kann Gründe haben, die nicht zwingend nur auf mangelnde, erst recht nicht auf unzureichende Kenntnisse hinsichtlich der Anforderungen des § 7 b HwO schließen lassen. (Es ist nicht erforderlich, das der Antragsteller die Kenntnisse des Teils III der Meisterprüfung nachgewiesen hat oder nachweisen kann.) "
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen Urteil 9 K 3112/06 vom 23.10.2007: Eine Ausübungsberechtigung nach § 7b HwO kann auch einem Bewerber erteilt werden, der eine vollzeitschulische Berufsausbildung nach Landesrecht erhalten hat und nicht im dualen System ausgebildet worden ist.
Das Gesetz führt dazu aus:
"Die Ausübungsberechtigung wird auf Antrag des Gewerbetreibenden von der höheren Verwaltungsbehörde nach Anhörung der Handwerkskammer zu den Voraussetzungen des Absatzes 1 erteilt. Im übrigen gilt § 8 Abs. 3 Satz 2 bis 5 und Abs. 4 entsprechend."
und § 8 Abs. 3 Satz 2 bis 5 lautet:
"Die Handwerkskammer kann eine Stellungnahme der fachlich zuständigen Innung oder Berufsvereinigung einholen, wenn der Antragsteller ausdrücklich zustimmt. Sie hat ihre Stellungnahme einzuholen, wenn der Antragsteller es verlangt. Die Landesregierungen werden ermächtigt, durch Rechtsverordnung zu bestimmen, dass abweichend von Satz 1 an Stelle der höheren Verwaltungsbehörde eine andere Behörde zuständig ist. Sie können diese Ermächtigung auf oberste Landesbehörden übertragen."
und § 8 Abs. 4:
"Gegen die Entscheidung steht neben dem Antragsteller auch der Handwerkskammer der Verwaltungsrechtsweg offen; die Handwerkskammer ist beizuladen."
Um von der Altgesellenregelung zu profitieren, müssen Sie einen Antrag auf Erteilung einer Ausübungsberechtigung nach § 7b der HwO stellen. Welches die zuständige Behörde ist, können also die Länder selber bestimmen. In vielen Bundesländern sind die Regierungspräsidien oder Bezirksregierungen zuständig.
In den meisten Bundesländern wurde die Erteilung von Ausübungsberechtigungen und Ausnahmebewilligungen an die Handwerkskammern übertragen. Diese Übertragung von hoheitlichen - grundrechtsbeschränkenden Aufgaben an eine Interessenvereinigung halten wir für rechtswidrig.
Zumindest das Wirtschaftsministerium ihres Bundeslandes muss ihnen über die Zuständigkeit Auskunft erteilen. Auch das örtliche Gewerbeamt sollte ihnen hier weiter helfen können.
Stellen Sie den Antrag in einem formlosen Schreiben in dem Sie um eine Ausübungsberechtigung nach § 7b der Handwerksordnung bitten. Möglicherweise gibt ihnen die zuständige Behörde oder die Handwerkskammer auch ein Antragsformular.
Fügen Sie diesem Schreiben als Anlage den Nachweis über ihren beruflichen Werdegang und ihre leitende Tätigkeit bei. Wie dieser Nachweis erbracht werden kann führt das Gesetz aus:
"Der Nachweis hierüber kann durch Arbeitszeugnisse, Stellenbeschreibungen oder in anderer Weise erbracht werden."
Was unter "andere Weise" verstanden werden kann, da ist Phantasie gefragt. Vielleicht können Kunden oder Kollegen bezeugen, dass Sie eigenverantwortliche Entscheidungsbefugnisse hatten. Möglicherweise existieren Geschäftsbriefe, Abnahmeprotokolle oder andere Schriftstücken, aus denen ihre eigenverantwortliche Arbeit abgeleitet werden kann. Bedenken Sie dabei, dass die Kammer aus jedem Indiz versuchen wird abzuleiten, dass Sie nicht eigenverantwortlikch tätig waren.
Auch die selbständige Tätigkeit im Rahmen des Reisegewerbes oder eines unerheblichen handwerklichen Nebenbetriebs können Sie als Nachweis der eigenverantwortlichen Arbeit angeben.
Da dem Gesetzgeber bekannt sein müsste, dass im Handwerk häufig keine aussagekräftigen Arbeitszeugnisse gegeben werden, dürfen an den Nachweis der eigenverantwortlichen Entscheidungsbefugnisse keine übermäßigen Forderungen gestellt werden.
Obwohl das Bundesverfassungsgericht eine großzügige Anwendung der Ausnahmen vom Meisterzwang in der Entscheidung 1 BvR 1730/02 vom 05.12.2005 angemahnt hat, werden weiterhin die Ausübungsberechtigungen sehr restriktiv erteilt. Manchmal gegen diese Feststellung argumentiert, dass das Verhältnis von erteilten Ausübungsberechtigungen und Ablehnungsbescheiden zeigen würde, dass die Erteilungspraxis sehr großzügig sein. Dabei wird verschwiegen, dass Kammer immer wieder erheblichen Druck auf potentielle Antragsstelle ausüben, keinen Antrag zu stellen, weil sei angeblich sowieso keine Chance haben. Und wenn der Antrag gestellt ist, wird weiter Druck ausgeübt, diesen Antrag zurückzuziehen.
Auch wird argumentiert, dass das Verhältnis der Eintragung in die Handwerksrolle aufgrund einer Meisterprüfung oder aufgrund einer Ausübungsberechtigung bzw. einer Ausnahmebewilligung sich deutlich zu Gunsten der Ausnahmeregelungen verschoben habe. Dem ist entgegen zu halten, dass die großzügige Erteilung von Ausübungsberechtigungen bzw. Ausnahmebewilligung sich nicht an der Zahl der Eintragungen Meistern bemisst, sondern jedes Mal beim Einzelfall geprüft werden muss, ob der Antragsteller die Voraussetzungen für die Erteilung von Ausübungsberechtigungen bzw. Ausnahmebewilligung erfüllt. Selbst wenn keine einzige Eintragung in die Handwerksrolle aufgrund der Meisterprüfung erfolgt, haben Berufserfahrene Gesellen einen Rechtsanspruch auf Erteilung einer Ausübungsberechtigung.
Bei Anmerkungen und Kritik freut sich der BUH über email, Post oder FAX an die Geschäftsstelle.
BUH e.V.: Artilleriestr. 6, 27283 Verden,
Tel: 04231-9566679, Fax: 04231-9566681,
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